Jahre der Wanderschaft

Unter dem Motto „Gypsy“ machen die „Heimatklänge“ am Kulturforum Potsdamer Platz Station. Mit einem gerafften Notprogramm kämpft das traditionsreiche Weltmusik-Festival ums Überleben

von DANIEL BAX

Heimatlos und ohne Mittel: So standen die „Heimatklänge“ im vergangenen Jahr plötzlich da, nachdem die langjährige Verbindung mit dem Tempodrom gekappt worden war. Weil der bisherige Partner seine Zirkuszelte endgültig abgebrochen hatte und am Anhalter Bahnhof sesshaft geworden war, eignete er sich nicht mehr als Austragungsort für das einstmals populärste Festival der Stadt, das schließlich als Open-Air-Event zu kleinen Eintrittspreisen bekannt geworden war. Das zeigte die Bilanz des vergangenen Jahres: Zu wenige Besucher wollten sich mitten im Sommer in das stickige neue Tempodrom begeben und dafür auch noch normale Konzertpreise bezahlen. Das Besondere der „Heimatklänge“ schien verschwunden.

Nur konsequent also, dass sich die „Heimatklänge“-Macher erneut auf Wanderschaft begeben haben. Auf dem Kulturforum am Potsdamer Platz haben sie nun, nach Stationen im Tiergarten und am Ostbahnhof, einen neuen Standort gefunden. Und irgendwie nahe liegend, dass man sich für das sechzehnte „Heimatklänge“-Jahr nun das fahrende Volk zum Thema gewählt hat, und „Gypsy“ zum diesjährigen Motto erkor.

Gypsies, Gitanos oder Zigeuner – vielfältig sind die Namen, die man dem Volk der Roma gab, wo immer es sich aufhielt, und schmeichelhaft war es selten gemeint. Doch neben allerhand negativen Eigenschaften, die man dieser Minderheit andichtete, sagte man ihr stets auch eine außerordentliche Musikalität nach. Dabei bezeichnet das Attribut „Zigeunermusik“ beileibe keinen einheitlichen Stil, bestenfalls eine bestimmte Spielweise. Roma-Musiker tummeln sich in allen möglichen lokalen Genres, von rumänischer Blasmusik bis zu andalusischem Flamenco. Eigentlich zwangsläufig, dass die „Heimatklänge“ früher oder später auf dieses Thema kommen mussten.

Auch wenn das Festival diesmal mit einer Kurzfassung auskommen muss, so spannt es den musikalischen Bogen doch angemessen weit: Von den Ursprüngen der Roma-Kultur im indischen Rajasthan, von wo die Musiker und Schlangenbeschwörer der Gruppe Musafir stammen, bis zur katalanischen Rumba der Band Tekameli aus dem Hauptsiedlungsgebiet der französischen Gypsies um die Stadt Perpignan. Den Schwerpunkt des Programms bilden jedoch Bands und Interpreten aus Osteuropa: Mahala Rai Banda aus Rumänien, der bulgarische Sänger Jony Iliev sowie das serbische Blasorchester um Boban Markovic, das schon bei den letztjährigen Heimatklängen zu Gast war. Sie zeigen, das der Balkan-Boom noch lange nicht vorbei ist, im Gegenteil: Der Frankfurter Elektronik-DJ Shantel, der am Samstagabend zur Aftershow-Party auflegen wird, weist mit seinem „Bucovina Club“ womöglich einen Weg in die Zukunft: Mit seinen Partynächten im Schauspielhaus Frankfurt verbindet er die traditionelle Balkan-Folklore mit zeitgemäßem Clubsound.

Doch der neuerliche Relaunch der „Heimatklänge“ kann nicht verdecken, das die „Heimatklänge“ mit dem Rücken zur Wand stehen, wie das diesjährige Notprogramm zeigt. Zog sich das Festival früher über zwei Monate hinweg, und das an mehreren Abenden die Woche, so ist es nunmehr auf knappe fünf Tage geschrumpft: Es ist vor allem als Versuch zu verstehen, das Festival überhaupt in irgendeiner Form zu erhalten – eine Art Rettungskampagne nach taz-Art sozusagen.

Mit dem Mut der Verzweiflung kämpfen die „Heimatklänge“ in ihrem fünfzehnten Jahr um Publikum, Sponsoren und einen Termin mit Kultursenator Thomas Flierl. Mit Senatshilfe war das Festival schließlich einst aus der Taufe gehoben worden, damals in der geteilten Stadt, um 1988 den Ruf des westlichen Berlins als europäische Kulturmetropole zu festigen.

Das Auslaufen der Senatsgelder im vergangenen Jahr hat nun ein empfindliches Loch in den Etat gerissen. Und wenn sich dieses Jahr keine Sponsoren finden, welche in Zukunft die Lücke füllen, dann heißt es endgültig Abschied nehmen von den „Heimatklängen“.

Bis Sonntag 20. Juli jeden Abend im Kulturforum Potsdamer Platz. 5 Euro. Bands und Termine: siehe Programm