Abgesang und Marschmusik

In der Flaute auf dem Musikmarkt versucht die Industrie bisher vergeblich, den Außenbordmotor einer gemeinsamen Internet-Plattform anzuwerfen – und wartet auf Rückenwind vom Gesetzgeber

von ARNO FRANK

Ah, da kommt was! Nein, doch nicht. Aber jetzt, jetzt kommt’s! Nein, war wohl wieder nix – das Warten auf den gemeinsamen digitalen Plattenladen der deutschen Tonträgerindustrie gestaltet sich ähnlich zäh wie das Herunterladen von Songs aus dem Internet selbst: Es dauert ewig, und wenn’s dann da ist, taugt es meistens nichts.

Dabei ist es höchste Zeit für die Branche, ihrem konstanten Abwärtstrend mehr entgegenzusetzen als markige Worte vom „Unrechtsbewusstsein“, Klagen gegen User von Tauschbörsen wie Napster oder KaZaa und das Warten auf eine Novelle des Urheberrechtsgesetzes. Fest steht: Wenn der Piraterie kein Ende gesetzt wird, dann „gibt es in fünf Jahren kein Musikgeschäft mehr“, so der französische Branchenfunktionär Michel Lambot.

Der Ton hat sich vom Träger gelöst, und das lässt sich auch an Zahlen ablesen: 259 Millionen CD-Rohlinge sind vergangenes Jahr bundesweit verkauft worden – aber nur 165 Millionen „finished products“. Der weltweite Branchenverband IFPI schätzt die Zahl der illegal kopierten Musik-CDs auf 1,1 Milliarden. Just jenes Viertel Marktanteil kam der Industrie inzwischen abhanden, das die Internet-Börsen als Zuwachs verbuchen können.

Allein in Deutschland mussten 800 Mitarbeiter der Industrie gehen, dazu gesellen sich noch einmal 500 Arbeitnehmer im darbenden Handel. Und weil sich die Beteiligten noch immer nicht auf die gemeinsame Internet-Plattform „Phonoline“ geeinigt haben, wurden 2002 rund 622 Millionen Titel aus dem Netz geladen, ohne dass die Branche davon auch nur einen Cent gesehen hätte. „Wir arbeiten aber mit Hochdruck daran“, erklärte jüngst ein Sprecher des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft.

Mit einem kostenpflichtigen „Phonoline“-Portal (99 Cent pro Song) wollen Universal, Sony, Warner, BMG, EMI und eine Reihe kleinerer Labels den Internet-Tauschbörsen zu Leibe rücken – in Zusammenarbeit mit Vertriebsketten wie Saturn, Mediamarkt oder Karstadt. Bis zur Musikmesse Popkomm im August sollte das Projekt eigentlich unter Dach und Fach sein. Bisher aber scheiterte es an Abrechnungsmodalitäten und der Frage nach dem technischen Dienstleister. Dass der legale digitale Verkauf von Musik auch funktionieren kann, beweist derzeit Apple mit seinem 99-Cent-Angebot „iTunes“: Jede Sekunde werden dort zwei Songs gekauft. Der Analyst und Branchenexperte Phil Leigh urteilt: „Wenn Apple in einer Woche eine Million Dollar Umsatz macht, dann sind das im Jahr 52 Millionen Dollar. Und damit läge Apple über den Umsätzen aller anderen Online-Musikdienste“, die zusammen gerade mal 35 Millionen Dollar im Jahr erwirtschaften.

Umso schwieriger gestaltet sich ein gemeinsames Angebot, als sich die konkurrierenden Plattenfirmen gegenseitig mit Prozessen paralysieren: Universal und EMI beispielsweise verlangen Schadenersatz von Bertelsmann (BMG), weil deren damaliger Chef Thomas Middelhoff seinerzeit den Piraten Napster mit 85 Millionen Dollar freundlich enterte, als er ihn hätte versenken können.

Dabei haben die Majors eine Entwicklung verschlafen, die sie selbst eingeleitet haben – mit der Abschaffung der individuell knisternden Vinyl-Schallplatte zugunsten der Compact Disc, einem neutralen Datenbehälter. Alle Versuche, das „haptische Erlebnis“ eines Tonträgers mit Design-, Papp-, Fell- oder gar Holzschubern aufzuhalten, sind gescheitert. Weil eine neue Generation herangewachsen ist, die sich freizügig im Netz bedient – statt bei Plattenfirmen, die sich schlechterdings nicht von der Vorstellung trennen können, ein materiell greifbares Produkt in die Läden bringen zu müssen.

Abgesehen von den wirtschaftlichen Aspekten ist das illegale Downloaden vor allem ein kulturelles Problem. So ist es kein Wunder, wenn ein überbezahltes kreatives Fliegengewicht wie Robbie Williams mit seiner Meinung inzwischen alleine steht: „Das ist großartig. Es gibt nichts, was irgendjemand dagegen tun könnte.“ Von Metallica bis zu den Fantastischen Vier, von den Dixie Chicks bis zu den Red Hot Chili Peppers warnen Künstler vor dem Ende des Albums und beklagen die herrschende Einstellung, Musik gebe es ohnehin umsonst und müsse nicht vergütet werden. Eine schleichende Abwertung kreativer Arbeit beklagt aber auch die musikalische Verwertungsgesellschaft Gema.

Viele Urheber sind auf die Einnahmen aus den Abgaben angewiesen, die die Hersteller von Computern in Zukunft an die GEMA zahlen sollen – wenn die geplante Novelle zum Urheberrecht Gesetz wird. Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat zugestimmt, nun fehlt nur noch die Unterschrift von Johannes Rau. Kostenlose Tauschbörsen werden dann illegal sein. Aber selbst wenn die juristischen Voraussetzungen erfüllt sind, fehlt es weiter an den technischen. Und dass es im Netz keine Sicherung gibt, die nicht sofort von irgendeinem findigen Kid geknackt würde, das hat irgendwie auch wieder mit Rock ’n’ Roll zu tun.