Wirtschaftsfaktor Frau

Die Naturwissenschaftlerin Martina Schraudner soll mehr Frauen in die technischen Studienfächer der TU locken. Denn in der Wirtschaft werden sie dringend gesucht. Schraudners Bilanz nach einem Jahr: Es bleibt viel zu tun

Mit Chancengleichheit in öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen beschäftigt sich am heutigen Freitag eine Tagung an der Freien Universität (FU). Die Leiterin des Master-Studiengangs Gender- und Diversity-Management, Dagmar Vinz, spricht über Vielfalt als Schlüsselqualifikation auf dem Arbeitsmarkt; aus Praxis-Sicht berichtet etwa Christine Rabe vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf über Gender-Mainstreaming in ihrer Behörde, Hanna Dreißigacker wirft einen Blick auf die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und Erfahrungen aus dem In- und Ausland. Die Konferenz „Mit Gender- und Diversity-Kompetenz in den Beruf“ ist öffentlich, die Teilnahme kostenlos. Sie ist Teil des weiterbildenden Masterstudiengangs zur Gender- und Diversity-Kompetenz, der seit diesem Wintersemester an der FU angeboten wird. Er vermittelt Wissen über soziale Ungleichheit (von Geschlecht bis zur religiösen Orientierung) und vermittelt Handlungskompetenz, um faire Bedingungen in Unternehmen zu schaffen. Laut Uni ist er bundesweit einmalig. PEZ

VON KRISTINA PEZZEI

Wenn Martina Schraudner hört, dass sich Frauen nicht für Technik interessieren, packt sie der Zorn. „Es ist ja gerade andersherum: Die Technik spricht Frauen nicht an“, sagt die 46-Jährige. „Das heißt nicht anderes, als dass 50 Prozent des Marktes unerschlossen sind.“ Energisch nimmt sie eine Grafik von der Pinnwand, aus der deutlich hervorgeht, dass sich Frauen mit zunehmendem Alter immer weniger für technische Produkte interessieren. „Schauen Sie sich das an, das kann man nicht oft genug sagen, was der Wirtschaft da verloren geht.“

Schraudner ist eine praktische Frau, geradlinig im Denken und schlagfertig. Unabdingbare Voraussetzungen für ihren Job: Die studierte Biologin ist als Professorin an der Technischen Universität (TU) angestellt und soll dazu beitragen, dass sich mehr Frauen für die sogenannten MINT-Fächer begeistern – Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie Technik. Vor einem Jahr hat die Uni Schraudner von der Zentrale der Fraunhofer-Gesellschaft in München nach Berlin geholt.

An der TU liegt der Studentinnenanteil im Maschinenbau bei 9 Prozent, Professorinnen gibt es keine. Bei den Mathematikern studieren gut 35 Prozent Frauen (Ausnahme: Lehramt, dort sind es deutlich mehr); 2 von 30 Professuren sind mit Frauen besetzt – das sind nicht einmal 7 Prozent.

Auch an den anderen Hochschulen des Landes sieht es nicht besser aus: In ganz Berlin sind 25 Prozent der Absolventen naturwissenschaftlicher Fächer Frauen. Die Professorenstellen sind zu gut 13 Prozent mit Frauen besetzt – immerhin doppelt so viel wie Anfang des Jahrtausends und leicht mehr als der Bundesdurchschnitt. Doch: „Von den von der EU 2007 in Lissabon gefassten Zielen sind wir damit noch weit entfernt“, hält Schraudner fest. Die Europäische Union (EU) will zumindest einen Professorinnen-Anteil von 25 Prozent insgesamt erreichen. Finanziert vom Bundesforschungsministerium hat Schraudner mit Kolleginnen zunächst einen Beispielkatalog erstellt, wie Aspekte des Gender-Mainstreaming in der Forschung verankert werden und schon in der Schule mit einfließen können – dann nämlich, wenn es um die Studien- und Berufswahl von Schülerinnen geht. „Wir wollten auch sehen: Wie müssten sich die technischen Fächer präsentieren, dass sie für Mädchen attraktiv sind.“

Beispiele dafür, was dabei herauskommt, wenn Frauen bei der Forschung nicht beteiligt sind, gibt es zuhauf: Die ersten Herzkatheter waren unzureichend auf die Physis von Frauen abgestimmt, die ersten Spracherkennungssysteme ignorierten weibliche Stimmen, weil die Entwickler deren höhere Tonlagen nicht berücksichtigt hatten. Sicherheitsgurte in Fahrzeugen waren für Schwangere nicht benutzbar, sie engten das ungeborene Kind ein. „Das waren die typisch homogenen Produkte für den weißen Ingenieur um die 30“, sagt Schraudner.

Die Wirtschaft reagiert langsam; dort wo sie es tut, stellen sich Erfolge ein: Neue Digitalkamera-Modelle etwa setzen bewusst auf Farbe, Individualität und praktisches Format – sie sollen in Hand- oder besser noch Hosentaschen passen. „Der Trend geht ganz klar zum Lifestyle“, sagt etwa Canon-Sprecherin Martina Eichmann. Der Konzern verkauft seit einigen Jahren erfolgreich seine farbigen Digital-Kameras der Marke Ixus. „Die Kamera gilt oft schon als Accessoire, so wie bislang das Handy, und sie wird ein Stück mehr Alltag.“ Ob hinter dem Trend speziell Frauen stehen, will Eichmann nicht bestätigen – dass Frauen die antreibenden Kräfte waren, aber auch nicht verneinen.

In einem neuen, ebenfalls von der Bundesregierung geförderten Projekt befragt Schraudner derzeit Führungskräfte und Diversity-Manager – diejenigen, die sich in einer Firma um Vielfalt bemühen sollen – in Unternehmen, wie ihre frauenpolitischen Strategien aussehen und welche Anforderungen Frauen stellen, die Karriere machen wollen.

„Die besten Verbündeten sind Väter, deren Töchter studieren“

Die TU erhofft sich dadurch Rückschlüsse, wie sie Studentinnen besser fördern und auf den Arbeitsmarkt vorbereiten kann. Denn es ist ja nicht nur so, dass Frauen als Konsumentinnen verloren gehen. Sie fehlen auch als Fachkräfte. „Wenn man sich den hohen Anteil an ausländischen Studentinnen anschaut, stellt man fest, dass noch viel weniger Frauen schließlich dem inländischen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“, so Schraudner.

Dabei braucht die heimische Wirtschaft dringend qualifizierte Talente; die Männer allein können den Bedarf längst nicht mehr decken. Initiativen wie der jährliche „Girls’ Day“ und die Angebote des Frauen-Karrierezentrums Femtec versuchen, dieses Defizit zu schmälern. Femtec berät etwa Studienanfängerinnen in technischen Fächern und unterstützt sie beim Schmieden von Netzwerken und bei der Berufsplanung. Das Zentrum bietet auch Workshops für Schülerinnen an, bei denen sie unter Anleitung von Ingenieurinnen in die Technikfächer hineinschnuppern können.

Schraudner, die auch bei praktischen Projekten an der TU mitwirkt, hofft auf einen selbstständigen Kreislauf: Wenn Mädchen erst Maschinenbau-Professorinnen erleben und damit neue Rollen- und Vorbilder erfahren, werden sie selbstverständlicher und zahlreicher die Fächer belegen, die immer noch als wenig weiblich verschrien sind. Ihr eigenes Vorbild fand die Frau mit den streichholzkurzen blonden Haaren in der eigenen Familie: Ihr Vater war Ingenieur. Aus ihrer Heimat Nürnberg hat sie das Bodenständige mitgenommen, die vielen Umzüge mit der Familie haben sie gelehrt, sich schnell und effektiv durchzusetzen.

Schraudner wohnt in Charlottenburg, ihr Mann und sie pendeln zwischen München und Berlin. Was hat sie bewirkt in dem einen Jahr in der Stadt? Schraudner zögert lange, denkt nach. „Es ist vielleicht eher so, dass manches auf mich gewirkt hat“, sagt sie dann. Die teils starren Strukturen an der Universität machen ihr zu schaffen, Reformen findet sie überfällig. Mehr Flexibilität im System käme auch den Frauen und ihren Karrierewünschen entgegen, sagt Schraudner. „Grundsätzlich bin ich nach dem einen Jahr sehr optimistisch, ich habe noch viel mehr Ideen, was angepackt werden kann, als vorher.“ In den Fachbereichen verhielten sich die meisten ohnehin kooperativ – Frauen wie Männer. „Die besten Verbündeten sind sowieso Väter, deren Töchter studieren“, sagt Schraudner. „Die sehen am ehesten, was ihre Kinder brauchen und was ihnen verwehrt bleibt.“