Völkermörder können erleichtert aufatmen

Belgiens einzigartiges Kriegsverbrechergesetz ist auf Druck der US-Regierung vom Tisch gewischt worden

Die erste Entschärfung des belgischen Gesetzes war der US-Regierung nicht genug

BRÜSSEL taz ■ Gleich nach der Bildung seiner neuen Regierung hat der belgische Premier Guy Verhofstadt das bisher geltende Völkermordgesetz gekippt. Noch muss das Parlament zwar darüber entscheiden, doch an der Zustimmung besteht kein Zweifel. Damit haben sich die USA wieder einmal gegen das kleine Land durchgesetzt, obwohl bei ihnen daheim seit 1789 mit dem „Alien Tort Claim Act“ ein ähnliches Recht gilt. Davon unbeeindruckt hatte die US-Regierung zuletzt gedroht, den Belgiern das Nato-Hauptquartier wegzunehmen und in ein Land zu verlagern, das nicht den „juristischen Imperialismus“ pflege. Schon vorher hatte es massiven Druck aus Washington gegeben.

Den Ausschlag gab vermutlich die Tatsache, dass US-Präsident George W. Bush auf der Liste der etwa 30 Klagen stand, die gegen ausländische Politiker erhoben wurden. Er teilte sich das Leid unter anderem mit Tony Blair und Israels Ministerpräsident Ariel Scharon. Nach dem Beschluss der belgischen Regierung vom Wochenende sollen Klagen nur noch von Belgiern oder in Belgien sesshaften Personen eingereicht werden können und nicht gegen Persönlichkeiten aus einem demokratischen Land. Außerdem ist eine Immunitätsregelung geplant, die Nato-Mitarbeiter und Politiker ausnimmt. Die meisten der anhängigen Klagen sind danach gegenstandslos.

Bisher konnte die belgische Justiz in besonders schwer wiegenden Fällen, vor allem Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, auch dann tätig werden, wenn weder Täter noch Opfer oder Tatort etwas mit Belgien zu tun hatten. Belgien war damit das erste Land, das das „Weltrechtsprinzip“ konsequent umgesetzt hatte, nach dem sich für diese Verbrechen jedes Gericht der Welt zuständig erklären kann. Zugelangt hat sie bisher nur einmal, als sie 2001 mehrere Personen wegen des Völkermordes 1994 in Ruanda zu Haftstrafen zwischen zwölf und zwanzig Jahren verurteilte. Die Angeklagten hatten den Fehler begangen, sich in Belgien aufzuhalten. Nun sitzen sie.

Den einstigen chinesischen Premierminister Li Peng haben die US-Amerikaner zwar nicht erwischt, doch wegen der blutigen Niederschlagung des Studentenaufstands von 1989 lief in New York ein Prozess gegen ihn, und gegen den früheren Serbenführer Radovan Karadžić verhängte ein US-amerikanisches Gericht eine Strafe von 747 Millionen Dollar, zu zahlen an die Opfer von Vergewaltigungen und Folterungen durch serbische Soldaten im Bosnienkrieg.

Noch im vergangenen Mai hatte das belgische Parlament das Gesetz so entschärft, dass Ermittlungsverfahren gegen US-Amerikaner nicht mehr möglich waren, doch den USA ging das nicht weit genug. Sie wollten die Möglichkeit der Klage gegen Ausländer in Belgien komplett streichen lassen, und die Regierung Verhofstadt gab nach. Jetzt gibt es nur noch Nebenklagen von Belgiern oder in Belgien dauerhaft wohnenden Personen gegen belgische Angeklagte. Damit hat auch Belgien den so genannten Inlandsbezug wieder eingeführt, der bis zum vergangenen Jahr auch in Deutschland Voraussetzung für entsprechende Prozesse war, dann durch das neue „Völkerstrafgesetzbuch“ gestrichen und durch die Hintertür wieder eingeführt worden war. Belgische Politiker verweisen jetzt auf den neuen Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Der aber kann nur Fälle bearbeiten, die sich nach dem 1. Juli 2002 ereignet haben. GERD RAUHAUS