Spätes Erwachen der Demokraten

Die Debatte über gefälschte Gründe für den Irakkrieg und die desolate Situation der US-Besatzungspolitik im Irak lässt die demokratischen Präsidentschaftskandidaten doch noch ihre Chance wittern, George W. Bush im kommenden Jahr zu besiegen

aus Washington MICHAEL STRECK

Der politische Winterschlaf der US-amerikanischen Demokraten dauerte bis in den Hochsommer. Als ernsthafte Opposition hatte man sie abgeschrieben. Präsident George W. Bush, der siegreiche Feldherr und Kämpfer für das Gute, schien unangefochten einer zweiten Amtszeit entgegenzusteuern. Doch nun sind sie aufgewacht, wittern ihre Chance und geben sich angriffslustig.

Es begann mit einer Äußerung von Bush Anfang Juli, in der er zu den täglichen Angriffen auf US-Soldaten im Irak Stellung bezog. „Lasst sie nur kommen“, war alles, was ihm zu den Untergrundkämpfern einfiel. „Wir werden es ihnen schon zeigen.“ Das sagte er zwar nicht, aber so wurde er interpretiert. Demokratische Präsidentschaftskandidaten reagierten mit einem Proteststurm. „Der Präsident zeigt eine enorme Unsensibilität für die Gefahren, denen unsere Soldaten ausgesetzt sind“, wetterte Howard Dean. „Die Situation im Irak erfordert keine Prahlerei, sondern wohl überlegtes Handeln“, sagte Senator John Kerry, Deans härtester Rivale.

Die Affaire um den gefälschten Uranhandel und die dadurch erneut aufgeflammte Debatte über die Legitimation des Krieges lösten dann auch bei den vorsichtigeren Kandidaten die Zunge. „Die wichtigste Eigenschaft eines Präsidenten ist seine Glaubwürdigkeit“, sagte Senator John Edwards aus North Carolina, der im letzten Herbst im Kongress auch für den Krieg stimmte. Der sonst eher blasse Edwards legte noch nach und warf Bush „völliges Versagen“ im Irak vor.

Den weitreichendsten Angriff startete Kerry. Das Verhalten der Bush-Regierung im Nachkriegsirak nannte er „arrogant“. „Ich bin schockiert und verärgert.“ Er verknüpfte seine Kritik an Bushs Außen- mit dessen Energiepolitik und forderte „Kein Blut für Öl“. „Kein junger Amerikaner soll mehr sterben müssen, um unseren Lebensstil zu verteidigen aufgrund unserer Abhängigkeit vom Öl.“ Kerry macht sich stark für ein neues „Manhattan-Projekt“, um bis 2020 zwanzig Prozent der US-Stromversorgung aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Diese für US-Verhältnisse kühne Idee zielte jedoch nicht nur auf das Weiße Haus und dessen Kniefall vor der Energielobby, sondern auch auf seinen ärgsten Konkurrenten Howard Dean – den Liebling des linksliberalen Jungvolks.

Dean, Exgouverneur aus Vermont, ist der Überraschungskandidat der Demokraten. Er revolutionierte die Wahlspendenpraxis in den USA, indem er auf Kleinspenden aus Online-Kampagnen setzt und in kurzer Zeit mehr Geld als alle Mitbewerber sammelte. Von Anfang an polierte er sein Image als Kriegsgegner. Nun sieht er sich in seiner ablehnenden Haltung bestätigt und nutzt seine Geradlinigkeit, sich von den demokratischen Ja-Sagern abzugrenzen. „Wie können drei Senatoren, die von sich sagen, außenpolitisch erfahren zu sein, dem Präsidenten den Segen für eine unilaterale Invasion im Irak erteilen?“, stichelt er. Ob die Mehrheit der Demokraten einen Nestbeschmutzer und Besserwisser will, bleibt aber fraglich.

Derjenige, dem viele am ehesten zutrauen, Bush zu schlagen, ist bislang gar nicht im Rennen, hält sich aber eine Kandidatur offen: Wesley Clark, intelligenter Exgeneral und ehemaliger Nato-Oberbefehlshaber. Er verkörpert das Thema Nationale Sicherheit wie kein anderer und könnte das chronische Defizit der Demokraten, auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik unterlegen zu sein, beiseite räumen.

Die entscheidende Frage ist, ob und wie die Demokraten aus der aktuellen Schwäche der Regierung politisches Kapital schlagen können. Noch knapp ein Jahr trennt die Partei von dem Zeitpunkt, an dem Bushs Herausforderer feststeht – Monate, in denen sich die noch neun Bewerber oft mehr voneinander abgrenzen als von Bush, in denen völlig ungewiss ist, wie sich die Situation im Irak, Afghanistan oder bald Liberia entwickeln wird. Und hierin liegt ein gewichtiger Unterschied zu früheren Wahlkämpfen, wie Jim Hoagland in der Washington Post bemerkt. Gewöhnlich würden US-Regierungen gut ein Jahr vor der Wahl beginnen, außenpolitische Risiken zu minimieren. Politiker, die wieder gewählt werden wollten, verabscheuen Ungewissheit. Außenpolitik sei nicht vorhersehbar. Doch Bush stürze sich in ein außenpolitisches Abenteuer nach dem anderen und erhöhe massiv die damit verbundenen Risiken. Viele US-Amerikaner glauben schon jetzt, ihr Präsident kümmert sich zu sehr um die Welt und zu wenig um sie.