SOLDATENKÖRPERTHEORETIKER, FUSSBALLENTHUSIAST, IN FREIBURG ZU HAUSE

Klaus Theweleit (62) wurde mit seiner Studie über „Männerphantasien“ (1977 und 1978) zu einer intellektuellen Leitfigur der Postachtundsechziger. Das Werk beschäftigt sich mit Gewalt/dem Verhältnis zwischen Männern und Frauen/den tiefenpsychologischen Ursachen des Faschismus.

Sein neuestes Buch heißt „Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell“ (Kiepenheuer & Witsch, 2004). Darin beschäftigt er sich mit der Intellektualisierung des Fußballs als Folge des Wegfalls der Utopien, der Fußballisierung der Gesellschaft in der Folge ihrer Entpolitisierung. Allerdings nicht anklagend, eher entspannt, kreativ, aber nicht auf einer feuilletonistischen, sondern einer sachlichen Grundlage.

Unter anderem fordert Theweleit die Abschaffung des Abseits in einer Dreißigmeterzone vor den Toren; obendrein weist er David Beckham die Schuld am Ausscheiden Englands bei der Fußball-WM 2002 nach; außerdem bezeichnet er die Benotung von Fußballern in Bild mit der Wertung „Hat das Geld nicht verdient“ als „politisch kriminell, ja faschistisch“; schließlich definiert er das moderne Kurzpassspiel (u. a. der Franzosen) als „egalitärer“ als Günter Netzers jahrzehntelang verklärten Flugball. Grund: Hier spielen Gleichberechtigte, damals spielte nur Netzer, der Rest musste laufen.

Zum taz.mag-Gespräch lud er in den Garten seines Freiburger Hauses. Unter der milden Abendsonne Südbadens sprach er davon, dass er sein Interesse am Fußball „noch nie als vergeudete Zeit“ betrachtet habe. Auf den Einwand, man hätte ja statt Fußball schauen auch die Welt verändern können, sagte Theweleit: „Ich wollte schon die Welt verändern – aber Fußball gehörte dazu.“

Biografie: Geboren 1942, kommt aus Ostpreußen, der Vater war preußischer Eisenbahner, die Mutter Hausfrau, Kindheit und Jugend in Schleswig-Holstein. Studierte Germanistik, Anglistik und Musikwissenschaft in Kiel und Freiburg. Löste sich selbst mit seiner Frau aus, wie er sagt, „politisch-brutalistischen Lebensverhältnissen und ideologischen Zusammenhängen“. Während die Achtundsechziger (und zunächst auch die Alternativbewegung der Siebziger) die Zerschlagung der Kleinfamilie feierten, lebte Theweleit sie – trotz abschreckender Erfahrungen in der eigenen Kindheit. Lehrt Soziologie in Freiburg sowie Kunst und Theorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe.

Schriften: „Buch der Könige“ (1988 bis 1994), „Der Pocahontas-Komplex“ (vier Bände bis 1999), „Der Knall“ (2002, über schriftliche und visuelle Phänomene nach dem 11. September 2001), „Deutschlandfilme“ (2003, über Filmdenken und Gewalt). Alle genannten Bücher sind im Original im Stroemfeld Verlag erschienen. PU