Die gierigen TV-Kameras warten schon

Luc Bondys Wiener Festwochen-Inszenierung von Martin Crimps Sophokles-Adaption „Cruel and tender“ verhalf den Ruhrfestspielen in Recklinghausen zu einem wunderbaren Abgang. Mancher Zuschauer hätte sich aber eine durchgehende Übersetzung des englischen Textes gewünscht

Bad luck: The blood and semen in the shirt of the Centaur Nessus contain the venom of the Hydra

VON PETER ORTMANN

Wenn der sterbende General (Joe Dixon) wegen seiner Kriegs-Verbrechen im Rollstuhl vor ein Tribunal gezerrt wird, sind die gierigen Fernseh-Kameras und das Blitzlicht-Gewitter schon zu erahnen. Das Stück ist zu Ende. Zurück bleiben Verzweiflung, Tod und Verständnislosigkeit. Er war eben ein Arschloch – dieser Halbgott und Kriegs-Macho Herakles.

Der Schweizer Regisseur Luc Bondy inszeniert mit einem englischen Ensemble bei den Ruhrfestspielen „Die Frauen von Trachis“ von Sophokles. In einer neuen Fassung des Briten Martin Crimp. In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Die kommen aber genau so bruchstückhaft über das Laufband, wie amerikanische Informationen über den Irak-Krieg in die Medien. Zahlreiche ältere Festspiel-Besucher starrten minutenlang hilfesuchend in die Höhe. Doch die Götter hatten kein Einsehen.

Sie wollte schließlich der General um sich wissen, als er zur letzten Rechtfertigung aus dem Rollstuhl kroch, um, aufrecht stehend den Urinbeutel geklammert, das ewig gleiche Geschwätz zur Begründung von Kriegen zu deklamieren: Terrorverhinderung, -Vorbeugung und -Ausrottung. Demokratisierung aller Welt-Ressourcen heißt das auch auf Politiker-Deutsch.

Seiner Gattin Amelia (Filmschauspielerin Kerry Fox) hatte er schon mal aus Afrika ein Präsent vorausgeschickt: die farbige Geliebte nebst Kind. Damit bricht die häusliche Bunker-Idylle der Soldatenfrau zusammen. Um ihre Liebe zu retten, schickt sie dem General ein Pülverchen, das sich aber als Gift herausstellt. Amelia endet auf dem Kohlenmonoxid-Rücksitz in der Garage. Ihr Sohn James (Toby Fisher) switched zwischen Mutterliebe und Vater-Sohn Konflikt hin und her, bleibt am Ende mit Vaters Geliebten und Kind zurück.

Sophokles Stück über den Tod des großen Kriegshelden Herakles, dem die Götter trotz seiner Vergehen durch seine Gattin Deianeira einen würdigen Tod bescheren, hat durch den Krieg der Amerikaner im Irak eine zeitgenössische Authentizität bekommen, die die Grundkonflikte des griechischen Tragöden zwar überdecken, den Zuschauern aber das Blut in den Adern gefrieren lassen. Zu deckungsgleich sind die Rechtfertigungen von Kriegsgelüsten, Massakern und scheinbarem Heldentum vor und nach dem Tode Christi. Wenn der General tränenreich vom heroischen Kampf mit dem nemeischen Löwen, dem Höllenhund und der Hydra berichtet, wenn er sich brüstet, die Weltkugel des Atlas auf seinen Schultern gespürt zu haben, dann fällt es schwer zu erinnern, um welchen der sinnlosen Kriege es sich auf diesem Planeten gehandelt hat und zu welcher überflüssigen Armee der Kriegstreiber gehörte. Den Göttern ist das immer völlig egal gewesen, sie hatten ihr Vergnügen, die Ameisen da unten beim Töten, Vergewaltigen und Plündern zu beobachten. Merkwürdigerweise war das Festspielhaus in Recklinghausen nur zu drei Vierteln gefüllt. Aber heute und morgen haben Besucher noch einmal eine Chance.