Ein Netzwerk gegen Exklusivität

taz-Serie „Europa in Berlin“ (Teil 3): Die „Schlesische 27“ bietet internationale Kulturexpeditionen für sozial benachteiligte Jugendliche an. Gefördert wird das vom EU-Programm „Jugend für Europa“

VON VERONIKA NICKEL

Arsenij hält mit seiner Meinung über Europa nicht hinterm Berg. „Was soll ich da – ich will nicht weg von Berlin.“ Den 16-jährigen Schüler faszinieren andere Dinge. Autos, um genau zu sein, an denen er in seiner Freizeit begeistert herumschraubt. In die „Schlesische 27“ ist er nur zufällig gekommen. Freunde haben ihm erzählt, man könne hier sein Taschengeld mit ein paar Stunden Gartenarbeit aufbessern.

Das Kreuzberger „JugendKunst- und Kulturzentrum Schlesische 27“ will Jugendliche „zur Kunst verführen“. Auf mehreren Etagen kann man verschiedene Ausdrucksformen ausprobieren – von Theater, Malerei und Musik bis hin zur Bildhauerei. Die umliegenden Schulen nutzen die Einrichtung, um ihre Klassen in spezielle „Schulkurse“ zu schicken. Eine Woche lang können sich Schüler dann unter professioneller Anleitung kreativ austoben. Doch die kulturelle Projektarbeit findet nicht nur in Berlin statt. Seit 1985 beteiligt sich die Einrichtung auch an dem Aktionsprogramm „Jugend für Europa“, das von der Europäischen Kommission gefördert wird und außerschulische Aktivitäten von sozial benachteiligten Jugendlichen unterstützt. Für Ulrich Hardt, den künstlerischen Leiter der Einrichtung, spielt der soziale Hintergrund auch bei Aufenthalten im Ausland eine wichtige Rolle. Er sieht „das Internationale als Katalysator für die lokale Verwurzelung“. Und so sucht man bei Expeditionen den interkulturellen Dialog schon mal mit Fischern oder Leuchtturmwärtern oder versucht, die Geschichte der italienischen Stadt Vasto gemeinsam mit einheimischen Jugendlichen schauspielerisch umzusetzen. Die Sprachbarriere ist da mehr Chance als Hindernis. Denn gerade die Migrantenkinder, so Hardt, erfahren „das Manko ihrer Mehrsprachigkeit positiv“.

Chung nutzt das Angebot an den internationalen Jugendbegegnungen seit sieben Jahren regelmäßig. Von Wales bis nach Mazedonien ist der 20-jährige Abiturient dabei gekommen. Sein Resümee lautet: „Europa ist ein Land – bunt.“ In Asien, so der gebürtige Nordvietnamese, wären solche Projekte viel schwieriger zu verwirklichen. „Hier dagegen muss man nur anrufen und sagen, es hat was mit Kultur zu tun.“ Ganz so einfach ist es anscheinend doch nicht. Viele Projektideen der fünf fest angestellten Mitarbeiter in der Schlesischen 27 scheitern an der verspäteten Auszahlung bewilligter Gelder oder am hohen Verwaltungsaufwand für Anträge.

Im Auftrag der Europäischen Kommission entwickelte die Schlesische 27 1997 ein Programm, das sozial benachteiligten Jugendlichen in Europa die Teilnahme am Europäischen Freiwilligendienst ermöglicht. Mit 22 Einrichtungen in zehn Ländern wurde ein Netzwerk aufgebaut, um jungen Menschen einen einjährigen Aufenthalt in einer Jugendeinrichtung zu ermöglichen. „Europa ist immer noch etwas Exklusives“, kritisiert Ulrich Hardt. Gerade Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen erfahren von den vielfältigen Programmen oft nichts.

Eine Problematik, die den Entscheidungsträgern nicht fremd ist. 90 Prozent der Freiwilligen sind Abiturienten. Mireille Gras von der deutschen Agentur für das EU-Jugendprogramm gibt zu, dass „soziale Benachteiligung“ ein „sehr schwammiger Begriff ist“. Im Grunde verlasse man sich auf die Projektanbieter und hoffe, Jugendliche zu erreichen, die noch nie die Möglichkeit hatten, ins Ausland zu gehen.

www.jugendfuereuropa.de