„Wie oft hab ich mit mir gerungen“

Lebensadern einer Dichterin: Dorothy Parkers New York. Sie war jüdisch, schön, elegant, wie die Gegend, in der sie aufwuchs: der Upper East Side

„Es gibt nichts Gutes im Leben, daseinem nichtweggenommen wird“

VON VIOLA KEEVE

Die Upper East Side ist sauber. Auf den braunen Steintreppen liegt kein Müll. Kinder in Schuluniform werden von Latinas abgeholt oder winken erwachsen ein Taxi heran. Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen ist der schmale Distrikt von der 61. bis zur 81. Straße die reichste Neighborhood Amerikas, Beverly Hills und Silicon Valley eingeschlossen. Hier wohnen die Erben derer, die mit Öl, Stahl und der Eisenbahn Milliarden verdient haben, eine Festung des „alten Geldes“, die Neureiche nur widerwillig duldet. Mietervereine, die Coop Boards, haben die Macht eines Aufsichtsrats.

Und deshalb auch kann nicht jeder, der sich ein 18-Zimmer-Apartment für 15 Millionen Dollar leisten kann, einziehen – nicht mal Barbra Streisand oder Richard Nixon. Ihre Anträge wurden abgelehnt. Hier kommt es auf Elite-College-Abschlüsse, respektable Club-Mitgliedschaften und mäzenatische Neigungen an. Schwarze Nannies schieben alte, weiße Männer im Rollstuhl die Alleen entlang. An den Bäumen hängen Zettel ausgebildeter Hundeführer, auf denen „Walking with style“ steht. „Ich schreibe oberflächliches Zeug“, hat Dorothy Parker einmal erklärt. „Denn dies ist eine oberflächliche Stadt.“

Hier versteht man, warum die berühmteste und gefürchtetste Literatur- und Theaterkritikerin der Zwanziger und Dreißiger ihr Leben lang gegen Dummheit, Intoleranz und Rassentrennung gekämpft, sich für Juden und Schwarze eingesetzt hat, vom FBI befragt wurde und sogar auf McCarthy’s schwarze Liste für „antiamerikanische Umtriebe“ kam, obwohl sie keine Kommunistin war. Ihr Vermögen vermachte sie am Ende Martin Luther King.

Noch heute gibt es rund um den Central Park hohe Art-Deco-Gebäude mit Zierbalkonen, edle Bäckereien und Restaurants, alte Synagogen und Parkbänke, auf denen reiche Witwen in der Sonne sitzen – gepflegte Einsamkeit, distanzierte, bourgeoise Langeweile. Nirgendwo in Manhattan gibt es mehr Kosmetikstudios, Wellness Center und Schönheitschirurgen. Hier zählen Museums-Lunch, Cocktail-Empfänge und Wohltätigkeitsdinner, die Begegnung von Gleichgesinnten. Daran hat sich seit Parkers Tod nicht viel geändert.

Dorothy Parker (1893–1967), geborene Rothschild, Kind eines jüdischen Kleiderfabrikanten und einer schottisch-katholischen Mutter, war Teil dieser New Yorker Elite – und ihr Gegenteil: Sie soff wie ein Kerl, fluchte wie ein Kutscher und dichtete wie eine verletzliche Frau. „Ich werde dir mein Herz offenbaren wie eine große, rote Wunde“, schrieb sie, und wünschte sich zugleich: „Bitte Gott, lass mich schreiben wie ein Mann.“ Sie war mit Hemingway befreundet und Fitzgerald, den literarischen Größen ihrer Zeit, und schrieb selbst so scharfzüngig, dass sie ihren Job als Kritikerin verlor – weil der Ehemann einer von ihr kritisierten Schauspielerin mit Anzeigenstopp drohte. Ihr Protégé bei Vanity Fair, Frank Crowinshield, ging 1920 im teuren Hotel Plaza am Central Park mit Dorothy Parker zum Lunch, lobte ihren Stil, prophezeite ihr eine grandiose Zukunft und feuerte sie.

Ein Kritikerfreund nannte Dorothy Parker eine Mörderin, die mit Spitzenhandschuhen zusticht. An niemandem ließ sie ein gutes Haar, war bekannt dafür, dass sie es sich mit Menschen verdarb, auch mit Freunden. Über ein Buch schrieb sie: „Dies ist kein Buch, das man mit leichter Hand beiseite legt. Man muss es schon mit aller Kraft in die Ecke schleudern.“ Und über das Debüt von Katherine Hepburn: „Sie beherrscht die Skala der Gefühle. Von A bis B.“

Dorothy Parker nannte sich selbst die „größte kleine Festung der Welt“, sie war nur 1,50 Meter groß, frech, brillant, schlagfertig. Ihr erstes Gedicht verkaufte sie 1914 für zwölf Dollar an Vanity Fair, spielte Klavier in Tanzschulen und schrieb Satiren, trug große Hüte und heiratete mit 24 Eddie Parker. „Die Ehe hat fünf Minuten gehalten“, sagt sie später. Das Paar wohnt erst auf der 71. Straße, in „einer Wohnung, die groß genug ist, um einen Hut abzulegen und ein paar Freunde“, zieht dann in ein billiges, lautes Apartment auf die 57. Straße. Unten im Haus ist das Swiss Alps, ein Restaurant, das ihr oft Essen nach oben schickt, weil Dorothy Parker nicht einmal ein Ei braten kann. Die Ehe kriselt, als Eddie alkohol- und morphiumsüchtig aus dem Krieg zurückkommt.

Dorothy Parker fängt mit ihm an zu trinken, exzessiv, wird zur Königin des legendären Literatenzirkels im Algonquin auf der 44. Straße, an den ein bronzenes Schild außen am Hotel erinnert. Es ist die Zeit der Prohibition. Getrunken hat Dorothy Parker vor allem im Texas Guinan’s speakeasy, im heutigen Flute, einer Champagnerbar auf der 54. Straße, die jedes Jahr zu ihrem Geburtstag eine Prohibition Night feiert. Wer dann nicht im Roaring-Twenties-Outfit erscheint, bekommt eine Perlenkette oder einen schwarzen Plastikhut. Jazz läuft im Hintergrund, es ist schummrig, anfangs etwas steif. Das lockert sich mit der Spezialität des Hauses, dem „Ginrunner“, Gin, Sour und Champagner gemixt, süß, erfrischend. Die meisten Gäste kommen nur, weil sie gern Charlestonkleider und Nadelstreifenanzüge tragen, viele haben nie einen Satz von Dorothy Parker gelesen.

Als Königin der Tafelrunde im Algonquin war Dorothy Parker auf der Höhe ihres Schaffens. Heute hängen im eleganten, holzvertäfelten Rose Room Spiegel, anders als früher. Der echte Tisch steht auch nicht mehr, aber ein Ersatztisch, immer eingedeckt, als könnte der „Vicious Circle“ – wie vor 85 Jahren – jederzeit zurückkehren, den Alan Rudolph 1994 in „Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis“ verfilmt hat. Einmal im Jahr treffen sich die New Yorker Dorothy Parker Society und die Robert Benchley Society aus Boston am „Round Table“ zum Lunch.

Zehn Jahre lang, von 1919–1929, war der Rose Room Treffpunkt, Zentrum trinkfester New Yorker Kritiker, Schauspieler, Künstler und Literaten, allesamt Snobs und Lästerer, darunter Robert Benchley, Parkers Seelenfreund und treuer Familienvater. Als viele Freunde gestorben waren, vor allem Benchley, sagte sie: „Es gibt nichts Gutes im Leben, das einem nicht weggenommen wird.“ Wer stirbt, verliert nicht viel, daran glaubte sie. Trotz ihrer Todessehnsucht, ihrer Rauch- und Trinkexzesse, ihrer Depressionen, ihrer vier Selbstmordversuche, hat sie aber all ihre Weggefährten und Liebhaber überlebt.

„Ihr Wunsch zu sterben dauerte ein langes Leben lang“, sagt Kevin Fitzpatrick, Präsident der New Yorker Dorothy Parker Society. Seine Webseite ist eine Hommage an eine Frau, die einer Reporterin einmal auf die Frage geantwortet hat, was sie zum Schreiben gebracht habe: „Geldmangel, Schätzchen.“

Dorothy Parker schrieb für Vogue, Vanity Fair und den New Yorker, prägte eine eigene literarische Gattung, die Short Story des Avantgarde-Magazins New Yorker, schilderte das Alltägliche ohne Illusionen, Geschichten über Reiche und Bedienstete, Schwarze und Weiße, Männer und Frauen – mit Skepsis und Distanz, kompromisslos ehrlich. Ihre Verachtung für die egozentrisch-empfindsamen Damen der Upper East Side sammelt sich in der berühmten Story „Aus dem Tagebuch einer New Yorker Lady – in Tagen des Schreckens, der Verzweiflung, und des Wandels der Welt“, in der die schlimmste Katastrophe ein abgebrochener Nagel ist. Wer durch die aufgeräumte, adrette Upper East Side schlendert, hat noch den Ton im Ohr, mit der Parker ihre Bewohner persifliert.

Dorothy Parkers New York ist klein. Aufgewachsen ist sie auf der 68. und der 72. Straße, zur Schule gegangen in der 79., in der früheren katholischen Blessed Sacrament Academy, heute eine jüdische Schule, und gestorben auf der 74. – am 7. Juni 1967, allein, im Zimmer des Apartmenthotels The Volney.

Dorothy Parker wusste, wovon sie schrieb: Fehlgeburt, Alkoholrausch, später ein Dauerzustand, Scheidungen. Parker war ernüchtert von Männern, denen sie immer wieder verfiel: Frauenhelden, Großmäuler, untreu, bisexuell oder nur gleichgültig. Sie hatte den sicheren Griff für den falschen Mann. Sie rettete sich mit Sarkasmus: „Ich nörgle, streite, grummle, stänker, das Leben ist ein kalter Henker, kein guter Gedanke an Männer ist mir geblieben, ich glaube, ich muss mich mal wieder verlieben.“

Dorothy Parker Society: Website „Dot Com“ mit biografischen Schauplätzen und Fotos.Parkerwalk, einmal monatlich ab 23. Mai, 15 Dollar. Parkerfest: 1. bis 3. Oktober. www.dorothyparkernyc.com Zum Einhören: Elke Heidenreich liest Dorothy Parker, New Yorker Geschichten, 2 CDs, 149 Minuten, Kein & Aber, 2003, 19,90 Euro