Noch der tote Reagan provoziert

Zehntausende US-Bürger nehmen in Washington Abschied von dem früheren konservativen US-Präsidenten. Die in der US-Hauptstadt lebenden Zentralamerikaner haben ihre eigenen Erinnerungen an Reagans Kriegspolitik im „Hinterhof“ der USA

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Juan sitzt lässig auf den abgewetzten Treppenstufen vor dem Hintereingang eines mexikanischen Restaurants. Um seinen Kopf ist ein schwarzes Tuch geknotet. Er trägt eine breite Goldkette um den Hals. Tagsüber arbeitet er hier in der Küche, abends in einem Supermarkt. 1982 floh seine Familie vor dem Bürgerkrieg aus El Salvador. „Ronald Reagan war einer der besten amerikanischen Präsidenten“, sagt er. „Er hat uns geholfen, kein zweites Kuba zu werden.“

Der Satz mit dem Kuba-Vergleich ist wie ein Mantra in den Latinovierteln der US-Hauptstadt. Der Besitzer vom Frisörladen sagt ihn. Die ältere Frau im Waschsalon. Der Sodaverkäufer auf der Straße. Und der Mann hinter der Kasse im Schreibwarenladen „Distributor El Salvador“. Er findet Reagan einen „prima Kerl“, der in Zentralamerika genau das Richtige getan habe, „nämlich die Kommunisten zurückgedrängt“. Doch er hat noch einen ganz persönlichen Grund, warum er so gut auf Reagan zu sprechen ist. Dieser hatte Mitte der 80er-Jahre hunterttausenden illegalen Einwanderern Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen erteilt.

Die Eltern von Christiana Mendez sind so zu US-Amerikanern geworden. Die kleine junge Frau verkauft im „El West“ Lederstiefel, Hüte und Gürtel. In El Salvador geboren, ging sie hier zur Schule und erfüllte sich später ihren Traum von diesem Geschäft. Reagan sei ein anziehender Mann gewesen, meint sie, und stimmt ein Loblied an, das immer wieder die Zeilen „optimistisch und charismatisch“ enthält. Nein, über die Verstrickung in den Bürgerkrieg wüsste sie nichts. Politik interessiere sie nicht.

Antonio zuckt bei dem Namen Reagan. „Ich hasse ihn. Ich bin froh, dass er tot ist.“ Es fehlt nur noch, dass er auf den Boden gespuckt hätte. Der 42-Jährige mit den kräftigen Händen und der fehlenden oberen Zahnreihe, der in El Salvador einmal Farmer war, wartet in einem Latino-Fastfood-Laden auf sein Mittagessen. Reagan habe alles gewusst, sagt er, vom CIA-Training für die Todeskommandos und der Folter.

Ein paar Tische weiter sitzen zwei Männer und zerlegen ihren Burritos. Für Roberto, einen Mexikaner, der in Kalifornien Englisch studierte, ist Reagan „ein großes Arschloch“. Es sei doch völlig lächerlich, dass sich ein Land wie die USA von ein paar Kommunisten in Lateinamerika bedroht gefühlt habe. In Wahrheit ging es um den Schutz eigener Unternehmen vor drohender Verstaatlichung, meint er.

Miguel neben ihm spricht wenig. Er kommt aus Guatemala, verabscheut den 40. Präsidenten der USA und dessen Unterstützung für die Militärdiktatur in seiner Heimat. Drei Jahre war er Soldat. Dann desertierte er. „Ich wurde zum Foltern gezwungen. Das habe ich nicht ausgehalten.“

Die meisten Latinos bewundern oder verachten Reagan, dazwischen scheint es nichts zu geben. Nelson ist eine Ausnahme. Der Apotheker, der mit seiner Familie aus El Salvador floh, lehnte Reagans Politik lange ab, hat sogar einmal in Washington an einem Protestmarsch teilgenommen. Heute fragt er sich jedoch, ob die Einmischung der USA am Ende nicht doch richtig war: „El Salvador geht es heute vergleichsweise gut, und Kuba ist immer noch arm und eine Diktatur.“

Fünf Stunden hat sich Nelson daher in der Nacht angestellt, um Reagans Sarg im Kapitol zu sehen. Auch darin unterscheidet er sich von den meisten Hispanics hier, selbst den Verehrern. Die wenigsten von ihnen hätten Zeit. „Einer muss ja hier arbeiten, wenn die Amerikaner frei machen“, sagt Juan.