Reform in der langen Zielgeraden

Verhandlungen in zweiter Runde. Werden Versicherte gegen Patienten ausgespielt?

BERLIN taz ■ Vor Beginn der nächsten Verhandlungsrunde zur Gesundheitsreform versprühten die Verhandlungsführenden gestern Mittag weiterhin Optimismus. „Wir reden über alles und werden auch alles bewerten“, sagte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Horst Seehofer (CSU) betonte: „Wir biegen in die Zielgerade ein.“ Er fügte jedoch hinzu, dass die letzten Meter immer die schwierigsten seien. Offen ließ die beiden gestern, ob es morgen schon eine öffentliche Zwischenbilanz geben wird.

Noch bevor die eineinhalb Dutzend Vertreter der Fraktionen wieder zusammentrafen, hatten sich morgens Kanzler Gerhard Schröder, SPD-Fraktionschef Franz Müntefering und Generalsekretär Olaf Scholz mit den Möglichkeiten eines Kompromisses befasst – Entscheidungen wurden nicht bekannt. Die SPD kommt in den Verhandlungen in die Verlegenheit, Versicherte gegen Kranke auszuspielen. Denn parteiübergreifendes Ziel ist, 20 bis 25 Milliarden Euro einzusparen, um den angepeilten Kassenbeitrag von 13 Prozent zu erreichen. Für die Verteilung der Belastungen heißt das, dass alle Kosten, die nicht durch Umfinanzierung hereinkommen, dafür von den Patienten in Form von Zuzahlungen geholt werden müssen.

Ulla Schmidt ist daher zum Unwillen von großen Teilen der SPD und der Grünen bereit, nicht nur das Krankengeld, sondern eventuell auch den von der Union geforderten Zahnersatz oder die privaten Unfälle auszugliedern und deren Kosten den Arbeitnehmern allein aufzubürden. Schmidt war von vornherein immer dafür, statt des Krankengelds die Unfälle aus der paritätischen Finanzierung zu nehmen – bis sich der Kanzler in seiner „Agenda 2010“ für das Krankengeld entschied.

Je weniger jedoch durch Umfinanzierung erreicht wird, desto weiter muss die SPD der Union bei ihrer Forderung entgegenkommen, zehn Prozent sämtlicher Behandlungskosten den Patienten abzuverlangen. Dies wäre eine enorme Belastung für alle Kranken, die oberhalb der notwendigen Härtefallgrenze lägen. Auch die SPD will die Praxis beenden, große Teile der Bevölkerung von Zuzahlungen komplett zu befreien.

Auch wegen solcher Vermutungen äußerte sich gestern der Deutsche Behindertenrat (DBR) besorgt über die Entwicklung der Konsensgespräche. Viele Forderungen des DBR würden von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) für den Konsens „geopfert“, kritisierte Barbara Vieweg vom Arbeitsausschuss des DBR gestern in Berlin. UWI