Antifa ist out – der Mythos aber bleibt

Eineinhalb Jahrzehnte hat die Göttinger Autonome Antifa (M) linksradikale Trends gesetzt. Nun hat sie sich sang- und klanglos aufgelöst. Grund war nicht nur – wie bei so vielen linken Gruppen – der Nahostkonflikt. Pop-Antifa ist einfach nicht mehr Pop

VON FELIX LEE

Kein Hochglanzflugblatt, kein mehrseitiges Kommuniqué, selbst die für einen solchen Anlass üblichen Langzeitdebatten im linken Internet-Portal indymedia fehlen. Und von mehr als „erheblichen Differenzen innerhalb der Gruppe“ ist im Auflösungspapier (www.puk.de//aam) auch nicht die Rede. Das ist ungewöhnlich für einen politischen Zusammenhang, der in seinen besten Zeiten fast wöchentlich mit Stellungnahmen an die Öffentlichkeit ging.

Seit dem 29. April 2004 gibt es die Göttinger Autonome Antifa (M) nicht mehr. Statt dessen drei neue Gruppen ohne Namen. Unklar, ob sie überhaupt jemals die Breitenwirkung erzielen werden, wie es die „M“ eineinhalb Jahrzehnte getan hat. Das Ende einer Gruppe, das Ende einer Bewegung?

Schon um den Namenszusatz „M“ ranken sich Mythen. Angeblich stand M schlicht für Mittwoch, den Sitzungstag. Entstanden ist „die M“ Anfang der 90er in Göttingen, als sich in anderen Städten längst das Ende der autonomen Bewegung abzeichnete. Es war die Zeit von Hoyerswerda, Solingen und Rostock. Gewalttätige Übergriffe von Neonazis standen auch in Südniedersachsen auf der Tagesordnung. Mit spektakulären Aktionen zum Beispiel gegen das rechtsextreme Schulungszentrum in Adelebsen oder Zentren der inzwischen verbotenen FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei) gelang es der M, das Thema Neofaschismus in eine breite Öffentlichkeit zu tragen.

Als antikapitalistisch und revolutionär verstanden sich die Mitglieder. Revolutionär waren sie zumindest dadurch, wie sie in die linke Szene hinein wirkten. Denn ihr zentrales Instrument war Öffentlichkeitsarbeit – für die klandestinen Autonomen damals ein Tabubruch.

Die M bildete nicht den ersten Schwarzen Block auf einer Demo, aber sie war es, die ihn medienwirksam kultivierte. Wollten sich die schwarz vermummten und behelmten Demo-Teilnehmer ursprünglich mit dieser Präsentationsform vor allem vor Observationen der Neonazis schützen, alarmierte dieser martialisch wirkende Trupp schnell den Staatsschutz. Zunächst kam das Vermummungsverbot, dann folgte eine Repressionswelle. Vier Jahre ermittelte eine Sonderkommission wegen Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung (§§ 129 und 129a StGB). Es gab Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Anklagen – am Ende standen 17 Antifas wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung vor Gericht. Verurteilt wurde keiner.

Das linksliberale Klima in Göttingen tat ein Übriges. Nirgends gelang es einer als linksextrem geltenden Kraft, ein so breites Bündnis hinter sich zu sammeln. Von Gewerkschaftern, Professoren, Studenten bis hin zu SPD-Mitgliedern – auf den Demo-Zügen durch die Universitätsstadt solidarisierten sich zeitweise mehrere zehntausend Menschen mit der M. Antifa-Arbeit wurde hip – nicht zuletzt im von ihr gegründeten Netzwerk, der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO), fand die M viele Nachahmer.

Antifaschismus ist auch in der linken Szene Göttingens längst anderen Themen wie Globalisierungskritik und Sozialabbau gewichen. Damit folgt die Auflösung der M einem Trend, der bundesweit seit einigen Jahren zu beobachten ist: Pop-Antifa ist nicht mehr Pop. So wie sich viele andere linke Gruppen am Nahostkonflikt zerstritten haben, war zumindest die Frage zum Umgang mit der Friedensbewegung auch bei der M ein Spaltungsgrund. Vordergründig, denn hinter diesem Streit steckt mehr: Generationenwechsel, andere subkulturelle Gepflogenheiten und der „Wegzug vieler Führungskräfte“, wie es der Verfassungsschutz formuliert.

Dem Hauptstadtpendant, der Antifaschistischen Aktion Berlin, gelang es nach der Spaltung vor einem Jahr, sich in separaten Gruppen, in neuen Bündnissen und mit anderen Themen wieder zu sammeln. In anderen Städten wie in Köln haben sich Antifa-Strukturen so gut wie aufgelöst.

Ob mit der Spaltung der M in Göttingen etwas wegbricht, was viele Jahre weit über die Stadtgrenzen hinaus das politische Geschehen beeinflusste, ist noch nicht abzusehen. Zumindest aber bei Polizisten lebt der Göttingen-Mythos fort. Bei ihnen klingeln noch immer die Alarmglocken, wenn sie auf Demonstrationen – wie jüngst in Berlin-Köpenick – das Autokennzeichen „GÖ“ sichten. Auch Niedersachsens Verfassungsschutz wagt nicht, von einem „Abgesang“ zu sprechen. Sprecherin Maren Brandenburger glaubt zwar an eine „deutliche Schwächung der Szene“. Ihrer Einschätzung nach bleibt Göttingen aber eine „linksextremistische Hochburg“.