Spülen Sie die Teller einfach mit dem Kochwasser der Pasta!

Weil im Norden Italiens der Regen ausbleibt, ist die Ernte bedroht. Und die Energieversorgung – denn ohne Wasserkühlung müssen die Kraftwerke abgeschaltet werden

ROM taz Duschen statt baden – spart 100 Liter. Den tropfenden Wasserhahn reparieren – macht 40 Liter täglich. Wasch- oder Spülmaschine nur voll gepackt laufen lassen. Die Teller mit dem Kochwasser der Pasta spülen. Dieser Tage werden die Italiener mit reichlich guten Tipps eingedeckt, egal ob im Fernsehen oder in der Zeitung. Tipps zum Wassersparen, denn das elementare Gut ist mal wieder furchtbar knapp.

Doch diesmal sitzt nicht der Süden auf dem Trockenen wie noch letztes Jahr, als in Sizilien, in Sardinien, in Kalabrien das Wasser nur stundenweise aus dem Hahn tröpfelte. Diesmal ist der Norden getroffen, die Poebene, das wirtschaftliche Herz Italiens. Seit Monaten bleibt dort der Regen aus, seit Anfang Juni folgt eine Hitzewelle der anderen, und der Po hat sich vom mächtigen Strom in ein dünnes Rinnsal verwandelt. Der Fluss, der von seiner Quelle an der Grenze zu Frankreich bis zum Mündungsdelta an der Adria alle Nordregionen durchschneidet, kann an vielen Stellen mittlerweile bequem zu Fuß durchwatet werden, denn mit 7,56 Meter unter Normalnull wurde der Rekord-Tiefststand erreicht. Genauso das Bild bei den 141 Nebenflüssen; der Orio und der Serio zum Beispiel sind so gut wie ausgetrocknet.

Noch ist das Lebensmittel Wasser nicht rationiert; in Turin, in Mailand, in Verona werden die Haushalte weiter rund um die Uhr versorgt. Doch Wasser ist auch ein Wirtschaftsgut, in der Industrie, der Landwirtschaft, der Energiegewinnung – und hier sind die Folgen der Knappheit schon jetzt dramatisch. Heiß und trocken ist es, mit der dummen Folge, dass der Wasserbedarf drastisch steigt, während die Zufuhr wegbricht. Ohne reichlich Bewässerung läuft nichts beim Reis-, beim Mais-, beim Zuckerrübenanbau. Doch statt mehr gibt's weniger, sind vom Piemont bis ins Veneto und den Friaul die Zuteilungen an die Landwirte um die Hälfte reduziert. Verdorrte Maiskolben, vergilbte Wiesen dort, wo eigentlich die saftige Gräsermischung für die Parmesan-Milchkühe wachsen soll – die Bauernverbände kalkulieren die Schäden schon jetzt auf fünf Milliarden Euro.

Und es könnte noch dicker für die Bauern kommen, denn beim Wasser konkurrieren sie direkt mit den Kraftwerken. Die müssen ihre Turbinen kühlen, im heißen Sommer stärker noch als sonst, und je weiter der Pegelstand des Po fällt, desto prekärer wird dies Unterfangen. Denn wenn die Ansaugkanäle über dem Wasserspiegel liegen, ist Schluss – sofort drohen Turbinenschäden. Das Kraftwerk bei Canneto in der Lombardei liegt schon still, das Kraftwerk Porto Tolle im Podelta läuft nur auf halber Kraft und muss bei weiterem Sinken des Wasserstands abgeschaltet werden. Dann aber drohen sofort Stromsperren für Industrie und Haushalte, denn wie beim Wasser bewegt sich Italien auch beim Strom konstant hart am Limit. Im Juni gab es – ohne Wasserkrise – an zwei Tagen Stromabschaltungen im ganzen Land, weil die Kapazitäten überschritten wurden.

Deshalb hebt jetzt wieder in Politik und Medien die Debatte an über die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte. Die Diagnose beim Strom: die äußerst mageren Investitionen in Wind- oder Sonnenenergie. Beim Wasser: Verschwendung einerseits, ungenügende Vorsorge andererseits. Noch immer leistet sich Italien ein Versorgungsnetz, in dem mindestens 27 Prozent der Menge aus alten, undichten Leitungen leckt; im Süden gar wird bisweilen fast 60 Prozent vergeudet. Andererseits wurden zwar Milliarden in Stauseen investiert – aber die sind bis heute oft genug Investitionsruinen, mal nicht in Betrieb, weil ohne Genehmigung, mal randvoll, aber nicht ans Wassernetz angeschlossen. Und bei jeder Wasserkrise verspricht die Regierung neue Programme – doch kaum ist der Notstand überwunden, verschwinden die in der Schublade. Das letztes Jahr aufgelegte Programm zur besseren Brauchwassernutzung in der Landwirtschaft: auf dem Behördenweg hängen geblieben. Die gleichfalls 2002 bereitgestellten Mittel zur Meerwasserentsalzung in Süditalien: nie abgerufen.

Stattdessen ist Flickschusterei angesagt. Roberto Formigoni, Regionalpräsident der Lombardei, will den Wasserstand des Gardasees absenken, um die Versorgungslücken zu stopfen – und handelt sich die wütenden Proteste der Tourismusbranche ein. Landwirtschaftsminister Gianni Alemanno pocht auf die Vorrechte der Bauern – worauf sich die Energieproduzenten und der Industrieminister beschweren. Und der Zivilschutz-Chef Guido Bertolaso? Der ist „gemäßigt optimistisch“, wenn er den Bürgern nicht gerade Dusch- und Spülratschläge erteilt: „Auch letztes Jahr haben wir doch die Probleme in den Griff gekriegt.“ Noch optimistischer ist bloß ein Beamter der Wasseraufsicht am Po: „Viel tiefer kann der Fluss einfach nicht mehr sinken, und früher oder später wird's wohl regnen.“ MICHAEL BRAUN