Briten strafen Blairs Irakpolitik ab

Gigantische Verluste für Großbritanniens regierende Labour-Partei bei englischen Kommunalwahlen. Nur Platz 3 hinter den Konservativen und den Liberaldemokraten. Blair nennt Irakkrieg als Ursache. Spekulationen um politische Zukunft des Premiers

BERLIN taz ■ Eigentlich hatte sich die britische Labour-Partei daran gewöhnt, mit Tony Blair an der Spitze historische Siege zu erringen. Gestern betrauerte sie ihre größte Niederlage seit Jahrzehnten. Bei den Kommunalwahlen in England und Wales am Donnerstag fiel Labour laut Hochrechnungen und Teilauszählungen auf den dritten Platz zurück: 26 Prozent, gegen 30 Prozent für die Liberaldemokraten und 38 Prozent für die Konservativen. Bei den Parlamentswahlen 2001 hatte Labour noch 42 Prozent bekommen. Nun ist Labour auf dem europaweit üblichen Stimmenmaß der Sozialdemokratie angelangt, das der SPD bereits vertraut ist.

Von der „katastrophalsten Wahlniederlage seit Menschengedenken“ sprach gestern Nachmittag die Londoner Abendzeitung Evening Standard, als traditionelle Hochburgen der Arbeiterbewegung wie Newcastle in Nordostengland und Swansea in Wales für Labour verloren gingen. Die für Wahlschlappen übliche Labour-Ausrede einer niedrigen Wahlbeteiligung zieht diesmal nicht: Sie war mit 40 Prozent deutlich höher als sonst bei Kommunalwahlen.

Tony Blair erfuhr von dem Desaster bei den Trauerfeiern für Ronald Reagan in den USA und stellte es sofort in einen weltpolitischen Zusammenhang. Der Irakkrieg habe einen „Schatten“ über den Wahlkampf gelegt, gab er zu – und behauptete dann, das mache das Wahlergebnis irrelevant, denn bei Parlamentswahlen würden die Briten seine innenpolitischen Errungenschaften wieder honorieren.

Auch die Liberalen, die zuletzt vor dem Zweiten Weltkrieg bei einer landesweiten Wahl vor Labour gelegen hatten, führten ihren Erfolg auf ihren Antikriegskurs zurück. „Wir haben mehr Respekt gewonnen und damit mehr Unterstützung gefunden“, sagte Liberalenchef Charles Kennedy. Labour-Innenminister gab im BBC-Radio zu, dass der Irakkrieg Labour gespalten habe.

Nun könnte eine Diskussion offen ausbrechen, die seit einigen Wochen bereits verdeckt geführt wird: über einen möglichen Rücktritt Tony Blairs als Premierminister und Labour-Chef. Blair selbst begegnete solchen Gerüchten zuletzt immer mit dem Hinweis, er werde bleiben, solange seine Anwesenheit der Partei Vorteile bringe. Nun könnten Teile von Labour laut fragen, ob sie nicht einen neuen Führer brauchen – und das Experiment New Labour beenden müssen, um Labours Wahlchancen zu retten. Der konservative Oppositionsführer Michael Howard sagte gestern, das Wahlergebnis zeige, dass seine Partei die nächsten Wahlen gewinnen könne. Sie stehen voraussichtlich für Mai oder Juni 2005 an. D.J.

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