Ein echt verhagelter Sommer

In Oldenburg blitzt’s, in Braunschweig donnert’s und in Osnabrück hat der Intendant bereits die Konsequenzen gezogen – Niedersachsens Theaterlandschaft in der Finanzkrise

Problematisch sind die Kürzungen, weil die Verträge für die kommende Saison unterzeichnet sind

Theaterdonner? Unwahrscheinlich: Die Spielzeit an Niedersachsens Bühnen ist vorbei. Also werden es echte Unwetter sein, die in der Sommerpause über der grobporigen Theaterlandschaft der norddeutschen Tiefebene aufziehen.

Das erste Wetterleuchten kam aus Osnabrück. Noch vor Beginn der Verhandlungen kündigte der Intendant Norbert Hilchenbach an, seinen Vertrag nicht zu verlängern. Wenig später grollte Hannovers Schauspiel-Chef Wilfried Schulz: Zürich werbe um ihn. Wer ihn halten wolle, dürfe seinen Etat nicht antasten. Mittlerweile stürmt‘s auch in Braunschweig, und der Oldenburger Generalintendant Rainer Mennicken bekennt, er sei „wie vom Donner gerührt“. Der Grund: Das Land reduziert die Zuschüsse für seine Staatstheater um 3,43 Millionen Euro noch im Haushaltsjahr 2004.

Zugegeben, die Regierung hätte ihre Sparbeschlüsse kaum früher bekannt geben können. Keines ihrer Mitglieder habe bei Amtsantritt geahnt, „wie weit das Land in den Ruin getrieben wurde“, sagt Thomas Reiter, der Sprecher des Kulturministers Lutz Stratmann (CDU). Problematisch ist der Zeitpunkt trotzdem – nicht nur weil das Protestpotenzial zum Großteil Urlaub macht, sondern auch, weil zumindest die Verträge für die Theatersaison 2003/2004 bereits unterzeichnet sind.

Nein, die Hannoveraner Sparbeschlüsse und der angekündigte Abschied des Osnabrücker Intendanten sind nicht derselbe Vorgang – schon wegen der unterschiedlichen Träger: In Osnabrück sind die Bühnen eine städtische GmbH, für Oldenburg, Braunschweig und Hannover hingegen ist das Land zuständig. Sie sind aber Symptome derselben Großwetterlage: Überall ist man zufrieden mit den Theater-Chefs, überall – außer bei der Staatsoper Hannover – sind die Zuschauerzahlen stabil bis steigend, überall liegt die finanzielle Ausstattung am unteren Limit. Und überall soll gespart werden.

Zum Beispiel Osnabrück: Hier verweist Hilchenbach auf einen Publikumszuwachs von 25 Prozent in acht Jahren. Und, keine Selbstverständlichkeit für eine 160.000-Einwohner-Stadt, es gab etliche Besprechungen in den überregionalen Feuilletons. „Was Hilchenbach hier geleistet hat“, konstatiert denn auch Kulturdezernent Reinhard Sliwka (FDP), „war gute Arbeit.“ Die Unmöglichkeit weiterer Rationalisierungen habe im vergangenen Jahr ein Gutachten bestätigt. Das Problem: Hilchenbach wollte nur unter der Bedingung verhandeln, dass die Stadtverwaltungweder eine Spielstätte noch eine der drei Sparten abwickelt. Eine entsprechende Zusage aber gab es nicht. Stattdessen sei ihm bedeutet worden, dass man ab 2005 eine weitere Million Euro einzusparen gedenke. Einen Nachfolger für Hilchenbach wird Osnabrück wohl nicht suchen: Die Stadt setzt auf einen kaufmännischen Direktor. Ausgestattet mit Vetorecht wäre er eine Art Controller der Sparten-Leiter von Schauspiel und Musiktheater.

Die finanzpolitische Krise führt längerfristig zur Zentralisierung: Die Nebenzentren haben kleinere Bühnen als die Landeshauptstadt. Und kleinere Bühnen haben größere Probleme mit Sparauflagen. Immerhin wird Hannover mit 2,6 Millionen Euro der größte Betrag entzogen. Zum Vergleich: Aus dem Etat-Ansatz für Braunschweig sind 488.000, aus dem für Oldenburg 347.000 Euro gestrichen. „Es ist aber ein Unterschied“, so der Verwaltungs-Chef des Braunschweiger Theaters, Thomas Fehrle, „ob sie beispielsweise bei einer Compagnie von 16 Tänzern acht Stellen streichen, oder bei einer mit 40 Mitgliedern.“ Fest stehe, dass die neuen Kürzungen nur über Personalausgaben auszugleichen wären. Kurzfristig könne man da aber ohnehin nicht sparen. „Die jetzigen Beschlüsse führen unweigerlich zu einem Fehlbetrag im Abschluss 2004.“ Ob er noch auf Korrekturen hoffe? „Ich gehe fest davon aus.“

„Die Höhe und die Einzelaufschlüsselung sind beschlossen“, setzt der Ministeriums-Sprecher dagegen, „die werden so umgesetzt.“ Bei der Frage nach dem „Wie“ verlieren Reiters Antworten allerdings an Präzision. Als „Modell der Zukunft“ gelte die Umwandlung in GmbHs. Nur führt die kurzfristig laut Deutschem Bühnenverein „eher zu Mehrausgaben“. Und die 3,43 Millionen Euro sollen ja sofort gespart werden. Also müssten die Theater, schlägt Reiter vor, „die Einnahmen-Seite verbessern“.

„Das ist fast schon zynisch“, kommentiert Oldenburgs Generalintendant Rainer Mennicken die Forderung. Selbst die örtlichen Banken hätten unter Millionenverlusten zu leiden. Die Sponsorensuche gestalte sich immer problematischer. Mit der jetzigen Beschlusslage „fahren wir mit dem Etat an die Wand“.

Halb so schlimm, eigentlich. Denn irgendwann fällt jedes Theater-Minus aufs Land zurück, je nach Betriebsform zum Spielzeit-Ende oder als nettes Sümmchen nach mehren Geschäftsjahren. In Hannover wirkte das wie ein Sicherheitsgurt: Für die dortige Staatsoper wurde Anfang Juli ein Nachtragshaushalt verabschiedet. Der Zweck: Das Defizit von 3,5 Millionen Euro auszugleichen. . Das ist – reiner Zufall – ziemlich genau die Summe, die nun allen Staatstheatern gemeinsam abverlangt wird. Fraglich nur, ob das umgekehrt genauso funktioniert, oder ob man den kleineren Zentren die Schließung von Sparten empfiehlt. Immerhin, der Provinz bleibt ja noch das schönere Naturschauspiel. Benno Schirrmeister