olympische stiegen
: Aufgang Nummer 9

Die Treppe des Führers

Kleine oder große Treppenanlagen in Gebäuden nennt man in Wien immer noch Stiegenhäuser. In Deutschland sagen die Architekten dazu Treppenaufgänge, -häuser oder schlicht Treppe. Das steht so in den Plänen drin, wird beim Schriftverkehr, den Ausschreibungen, Angeboten aber auch umgangssprachlich so bezeichnet. Natürlich gibt es auch Überinterpretationen besagter Stiegen – wenn sie historisch oder mythisch veredelt werden. Alles spricht von der „Panzerkreuzer“-Treppe aus Eisensteins gleichnamigem Film oder dem Treppenhaus Leonardos im Schloss Franz I. Solche Titel sind nicht totzukriegen, auch nicht in Berlin, wo man mit nostalgischen Begriffen ja sonst vorsichtig hantiert.

Eine Ausnahme ist jetzt – zumindest im alltäglichen Gewerbe – bei der Sanierung des Olympiastadions anzutreffen, wo jeder, von der ausführenden Walter-Bau-AG bis hin zur Bauverwaltung, den „Treppenaufgang Nummer 9“ als „Führertreppe“ bezeichnet. Nicht offiziell natürlich, also bei Eintragungen auf den Plänen oder im Schriftverkehr, wenn es darum geht, mehr öffentliche Mittel für die Reparatur des zur Fußballweltmeisterschaft 2006 auserkorenen Runds zu kriegen. Da gibt man sich weiterhin vorsichtig. Aber, so wurde aus seriösen Kreisen bekannt, bei Besprechungen in mündlicher Runde, auf der Baustelle und hinter vorgehaltener Hand wird immer von der „Führertreppe“ geredet. Bei den Architekten Gerkan, dem Bauunternehmer Walter, den Denkmalpflegern, den Referatsleitern, Technikern, Polieren, Maurern etc.

Die „Führertreppe“ wird also saniert. Sie ist jene Verbindung, die bei den Olympischen Spielen 1936 Hitler aus seinem unterirdischen Parkplatz hinauf zu den Rängen beförderte, direkt zur „Führerloge“. Diese wird auch saniert, soll aber nicht genutzt werden 2006. Die Treppe schon. Und nehmen wir einmal an, der Fußballfan und Kanzler Schröder wäre da noch im Amt, dann ginge er über die „Führertreppe“ hinauf zum Eröffnungsspiel.

Eigentlich ist das nicht weiter schlimm. Denn was kann möglicherweise Schröder schon dafür, dass vor ihm ein Diktator dort Treppen stieg. Fischer und Eichel machen Politik auch in Nazi-Architekturen und gehen dort Treppen. Auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände spielten schon die Stones. Und auch der Heldenplatz in Wien macht aus Spaziergängern keine Faschisten. Außerdem reden wir offen von „Führerbunker“ oder „Führerbefehl“ ohne sentimentalen Zusammenhang – im Gegenteil.

Was also ist los mit der „Führertreppe“ in offizieller Manier? Wagt sich da keiner ran? Ist „Treppe Nummer 9“ Ausdruck des schlechten Gewissens und die 36er-Bezeichnung dann Baudeutsch? Übrigens am „Aufbau Ost“, Arbeitstitel für das „Unternehmen Barbarossa“ – also den Überfall auf die Sowjetunion 1941 –, stört sich doch im Bauministerium auch niemand. Ein Vorschlag: Sprecht doch – statt alias Treppe des Führers – von „Stiegenhaus“. Das ist nicht kontaminiert, aber jeder fragt nach dem Grund der österreichischen Marotte. ROLA