Grüner Tee bei Kerzenlicht

Urkomische Selbstbespiegelung: Bernd Moss‘ Marathon in Ingrid Lausunds „Der Weg zum Glück“ im Schauspielhaus

Bernd Moss steht ganz allein auf der Bühne. Nein, das stimmt so nicht. Er geht ganz allein auf der Bühne. Schwindlig wird es einem beim Zugucken. Fast zwei Stunden lang tigert der Schauspieler durch den Raum. Er dreht sich um die eigene Achse, schlägt Haken, läuft am Rand der Bühne des Schauspielhauses entlang, durchmisst sie von links nach rechts, von rechts nach links, von vorn nach hinten. Immer auf der Suche nach seiner verlorenen Mitte.

Einen Soloabend für einen Zwangsneurotiker hat die Autorin und Regisseurin Ingrid Lausund geschrieben. Die Bühne ist groß, der Abend ist lang, doch Moss hat unglaubliches Steh-, pardon, Gehvermögen. Nach sehr langsamem Beginn, bei dem er unsicher den Raum abschreitet, kommt die Uraufführung in Fahrt.

Lausund scheint sich im Vorfeld durch den ganzen aktuellen Wust an Psycho-Ratgebern gebuddelt zu haben. Denn ihr namenloser Neurotiker hat schon alles ausprobiert, was gegen sein Problembündel aus Panikattacken, Höhenangst, Nikotinsucht, Versagensängsten und Vaterkomplex helfen könnte. Zum Beispiel den beliebten Rat, das Glück im Kleinen zu genießen. Etwa bei Kerzenlicht einen grünen Tee trinken und dazu in einem Toskana-Bildband blättern. Bei Moss führt dies allerdings zu einer Panikattacke, da das Licht bedrohliche Schatten auf die Wand wirft. Oder wie wär‘s mit positiv denken, sich selbst ganz toll finden und über Nacht ein neuer, fröhlicher, kontaktfreudiger Mensch sein?

Geht natürlich alles in die Hose, aber es macht Spaß, Moss dabei zuzusehen, wie sein altes, schüchternes Ich dem „Neuen“, der launig Fremde anquatscht und sich im Fünf-Sterne-Hotel eine Prostituierte aufs Zimmer bestellt, entsetzt hinterher läuft.

Durch einige Kunstgriffe hebt Lausund ihre Inszenierung über eine Psychofarce hinaus: Sie lässt den Unglücklichen durch seine widerstreitenden Egos mit vielen Zungen sprechen. Und sie lässt Moss dazu wie eine aufgezogene Uhr in immer denselben engen Bahnen laufen.

Das ist alles gut beobachtet und brillant gespielt. Trotzdem fehlt auf Dauer etwas: ein Gegenüber. In Lausunds früheren Stücken schwang immer auch Gesellschaftskritik mit. Der Weg zum Glück dagegen persifliert „nur“ die Selbstbespiegelung. Dass die Egosuche gesellschaftlich eingebunden ist und momentan im Zwang besteht, glücklich zu sein, wird erst allmählich deutlich. Etwa bei der Geschichte von der Gartenparty. Zu der müssen die Gäste „nur“ gute Laune mitbringen. Moss übt sein strahlendes Lächeln eifrig vorm Spiegel, doch der Abend wird ein Desaster. Ein paar mehr dieser Geschichten hätten dem Stück gut getan. Aber dank Moss und einer ideenreichen Regisseurin nimmt doch noch alles seinen glücklichen Weg. Karin Liebe

Nächste Vorstellung: 15.6. ,19 Uhr, Schauspielhaus