Grüne werden Europameister

Die Ökopartei erreicht bei der Europawahl in Berlin 22,7 Prozent und überflügelt damit sogar die SPD. Spitzenkandidat Cramer: „Besser als in kühnsten Umfragen.“ Wahlbeteiligung bleibt gering

Michael Cramer strahlte so, wie das ambitionierte Radfahrer allenfalls bei stundenlangem Rückenwind tun: „Das Ergebnis ist noch besser als die kühnsten Umfragen“, sagte der Berliner Spitzenkandidat fürs europäische Parlament fassungslos nach den Hochrechnungen für Berlin. Die Landes-Grünen, die in der Bundeszentrale am Platz vor dem Neuen Tor mitfieberten, konnten tatsächlich ein geradezu historisches Ergebnis bejubeln: In Berlin schlugen die Grünen sogar die SPD.

Sie erreichten laut Hochrechnung (Stand 19.15 Uhr) 22,7 Prozent – bei der letzten Europawahl 1999 waren es gerade mal 12,5 Prozent. Die SPD kam lediglich auf 19 Prozent (1999: 26,7), die CDU erreichte 25,9 (1999: 35,0). Für die PDS votierten 14,5 Prozent der WählerInnen (1999: 16,7) und für die FDP 5,5 (1999: 2,4).

Till Heyer-Stuffer führte das Ergebnis auf die gute Vorarbeit zurück: „Wir waren die einzige Partei, die einen wirklich europäischen Wahlkampf geführt hat. Das hat sich ausgezahlt.“

Cramer kündigte an, bei seinem kommenden Umzug nach Brüssel drei Projekte in Angriff zu nehmen. Zunächst eine „anständige“ Diätenregelung: „Abgerechnet wird nach Kosten, nicht nach Fantasiepreisen.“ Außerdem will Cramer den „Iron-Curtain-Trail“ – einen Radweg quer durch Europa – anschieben, „um an die Geschichte des geteilten Europa zu erinnern“. Drittens müssten die Schienenverbindungen zwischen der alten und neuen EU hergestellt und verbessert werden, so Cramer.

Die SPD-Genossen im Willy-Brandt-Haus mussten mit der Thüringen-Wahl und den schlechten Europa-Ergebnissen einen Doppelschlag verkraften. Als klar war, dass die Hauptstadt-SPD hinter den Grünen liegt, sagte Dagmar Roth-Berehndt, Berlins Kandidatin für das Europaparlament: „Ich kann das nicht verstehen. Ich dachte immer, die Wahlergebnisse spiegelten auch gute Arbeit wieder.“ Und fügte – trotz sicherem 4. Listenplatz – hinzu: „Wahrscheinlich sollte ich aufhören, Politik zu machen.“ Roth-Behrendts Berliner Mitbewerberin Nicole Rosin sagte: „Das ist dramatisch.“ Sie sei offenbar mit ihren EU-Themen nicht gegen die Bundesthemen angekommen. Rosin hatte ihr 37. Listenplatz nie Hoffnung auf Einzug ins Parlament gemacht.

Der PDS-Landesvorsitzende Stefan Liebig erklärte, die Maßgröße zur Beurteilung der Landesergebnisse sei die letzte Bundestagswahl im Jahre 2002. Da zeige der Trend nach oben. Die PDS hatte 11,4 Prozent errungen. Die PDS habe in der Zwischenzeit „natürlich“ als Regierungspartei „neben Erfolg auch Enttäuschung produziert“. „Ich bin nicht euphorisch, aber auch nicht unzufrieden.“ Zwar sei das Ergebnis nicht so gut wie bei der letzten Europawahl, aber „dazwischen ist auch einiges passiert“. Unter anderem sei die PDS aus dem Bundestag geflogen, in den Umfragen von 22 auf 9 Prozent gesunken und arbeite sich jetzt mühsam auf 14 bis 15 Prozent wieder hoch. „Wenn es so bleibt, bin ich zufrieden.“

Die BerlinerInnen zeigten nur gemäßigtes Interesse an der Europawahl. Die Lokale schlossen um 18 Uhr, in der Hauptstadt gingen bis 16 Uhr lediglich 30,2 Prozent der Wähler an die Urnen. In Brandenburg waren es bis 14 Uhr 13,4 Prozent. Bei den Wahlen vor fünf Jahren hatten sich in Berlin 39,9 Prozent der Wähler beteiligt, in Brandenburg 30 Prozent.

GES, TDE, WERA

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