Des Kusshändigen Stolz

Nach dem 2:1-Sieg seiner Griechen über Portugal lässt Otto Rehhagel keinen Zweifel daran zu, wem der Erfolg zu verdanken ist: einzig und allein ihrer Majestät, König Ottokles I., höchstselbst

AUS PORTO MATTI LIESKE

Am Ende kam doch noch einer vorbei an den wackeren Griechen, die zuvor die portugiesischen Ballstreichler so rigoros auf Distanz gehalten hatten. Nach dem pflichtschuldigen Händedruck mit dem deprimierten Gegner schlenderten die Spieler einträchtig auf den griechischen Block zu, um sich von den völlig glückstrunkenen Fans gebührend feiern zu lassen für ihre Heldentat. Da schoss plötzlich eine kleine, gedrungene Gestalt im schwarzen Anzug an ihnen vorüber. Otto Rehhagel war mal wieder in seinem Element. Mehrfach warf er die Arme in die Höhe, als sei ihm eingefallen, dass er seine Morgengymnastik noch nicht absolviert hatte, dann deckte er die Anhänger mit ganzen Kaskaden von Kusshänden ein. Einen Moment musste man fürchten, er werde gleich zum Bad in der Menge über die Brüstung steigen. Doch schließlich hatten ihn auch die Spieler erreicht, nahmen ihn in ihre Mitte und alle gemeinsam ließen sie sich feiern für das kleine Mirakel, das ihnen zuvor im Estadio Dragão von Porto gelungen war. Mit ihrem 2:1-Sieg im Auftaktmatch der EM 2004 haben sie den portugiesischen Drachen zwar noch nicht getötet, aber dafür sein Feuer auf ziemlich kleine Flamme gestellt.

Der Trainer Rehhagel hat nichts verlernt von seiner bewährten Art, den Ruhm für grandiose Fußballsiege ziemlich ungeteilt einzuheimsen. Seine Rede schwankt dann zwischen verbaler Bescheidenheit und egomanischer Otto-Rhetorik. Gesichts- und Körpersprache wiederholen jedoch immer nur einen kategorischen Leitsatz: Ich war’s. „Wir haben uns die ganze Woche eine Strategie zurechtgelegt und die Spieler haben sie zu 100 Prozent eingehalten“, spricht es im majestätischen Plural aus ihm. Der ironische Unterton und das saturierte Lächeln weisen jedoch den Weg für die Übersetzung aus dem Ottomanischen: Was bin ich doch für ein schlauer Fuchs! „Das Kompliment gebührt den Spielern“, verkündet er weiterhin, „ich habe nur Ratschläge gegeben.“ Die dabei zur Schau getragene Miene eines Straßenkaters, der gerade eine Mülltonne voller Thunfisch entdeckt hat, räumt jeden Zweifel daran aus, welcher imperativen Natur diese Ratschläge waren und dass des wahren Glückes nur jener teilhaftig wird, der sie buchstabengetreu befolgt.

Aber der 65-Jährige hatte wahrlich Grund, stolz und zufrieden zu sein, und absolut keinen Anlass, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Das Wagnis, sich noch einmal in völlig fremder und recht schwieriger Umgebung an einer neuen Aufgabe zu versuchen, hat sich spätestens mit der Sensation von Porto ausgezahlt. Den zum Chaos neigenden und vielen Einflüssen ausgesetzten griechischen Verband hat Rehhagel auf seine Linie eingeschworen, ein zerstrittenes, am Nationalteam wenig interessiertes Ensemble aus eitlen Selbstdarstellern zu einem disziplinierten Kollektiv umgewandelt, das nicht glänzen, sondern gewinnen will. „Aus großen Individualisten hat sich ein Team entwickelt, wo jeder für den anderen läuft und leidenschaftlich kämpft“, beschreibt es der Trainer selbst. Man könnte auch sagen, dass Otto Rehhagel sein altes Modell Werder Bremen erfolgreich nach Hellas exportiert hat. So sagt es auch Angelos Charisteas, der Bremer Stürmer, den Rehhagel überraschend in die Anfangsformation berief, vermutlich, um ihr endgültig den Werder-Stempel aufzudrücken: „Wir sind eine deutsche Mannschaft.“ Mit besserer Verteidigung, möchte man hinzufügen.

Diese kam jedoch erst zum Zuge, als die Griechen den portugiesischen Kontrahenten mit einer anfänglichen Offensive überrascht und – glücklich, aber verdient – das 1:0 erzielt hatten. „Das erlaubte es ihnen, ihr Spiel komplett zu verändern“, analysierte Portugals Trainer Felipe Scolari. „Ach, an den Plan kann ich mich gar nicht mehr erinnern, jetzt müssen wir schon an den für das nächste Spiel denken“, blieb Otto Rehhagel einem anderen seiner Grundsätze treu: Nie mit Journalisten über Fußball reden, die verstehen sowieso nur Akropolis. Aber auch ohne seine feinsinnigen Erläuterungen war das Konzept ziemlich deutlich: Nicht einigeln, wie alle und vor allem die siegesgewissen Portugiesen erwartet hatten, sondern forsch voranstürmen, ein Tor schießen und dann mit eiserner 4-5-1-Formation den Laden dicht machen. „Sehr organisiert, ruhig, entspannt, geschlossen“, nannte Scolari die griechische Spielweise, aus dem Munde des brasilianischen Weltmeistercoaches ein ultimatives Lob.

„Jeder in der Welt spricht jetzt über Griechenland“, freute sich der zum besten Spieler des Matches gewählte Kapitän Theodoros Zagorakis. Eine kleine Spur pathetischer drückte es Otto Rehhagel aus: „Ich möchte ja nicht übertreiben, aber das ist der größte Sieg einer griechischen Mannschaft.“ Für ihn selbstverständlich nicht, aber immerhin: „Einer meiner größten.“ Und dann erzählte er einmal mehr von der „schönen Beziehung, die die Menschen in Athen zu ihrem Trainer haben“ und die alte Geschichte von den Busspuren, die er „schon mal“ benutzen dürfe. Natürlich kam wieder die Frage, ob er denn nun als Premierminister in Griechenland kandidieren wolle, aber auch da blieb er die Antwort schuldig. Unter König würde er es ohnehin nicht machen. Der arme Exilant, der hin und wieder diesbezügliche Ansprüche anmeldet, kann endgültig einpacken. In Griechenland gibt es nur einen Monarchen: Ottokles I., auch der Kusshändige genannt. Und sollte er es mit seiner Mannschaft tatsächlich schaffen, ins Viertelfinale dieser EM einzuziehen, dann darf auf den Busspuren von Athen nur noch Otto fahren. Für Busse werden sie dann gesperrt.