Ein Herz für Nikopolidis

Frauen schauen EM (Teil 1): Männer diskutieren über die effektiven Rehhagel-Griechen. Sie schreien: „Brotlose Kunst“. Frauen brauchen ihre Fachmänner, klar. Nur: bei diesem Torhüter hört der Spaß auf

VON SUSANNE LANG

Das wird eine großartige Fußballeuropameisterschaft – eine Frau fühlt das. Ich saß vor dem Fernseher, öffnete mein zweites Bier und hatte keine Chance. Samstagnachmittag, halb vier, erster EM-Tag. Alice Schwarzer ließ sich einfach nicht verschwommen trinken. Dazu war es noch zu früh oder das Bier zu schwach. „Wer trinkt auch Beck’s Gold“, sagte Andi dazu nur, wie es sich für einen echten Fußballprofifreund gehört. Ohne Andi schaue ich kein Spiel. Keine Frau schaut ein Fußballspiel ohne Fußballprofifreund. Schon gar keine EM oder WM, die Frauen-Highlights.

Wer aber schaut Alice Schwarzer bei Monica Lierhaus in dem neuen ARD-EM-Talk-Format „Ballkontakte“? Diese Frage stellte ich mir lieber erst gar nicht. Frauen auf jeden Fall nicht. Außer sie geraten in der EM-Aufwärm-Einstimm-Phase dummerweise hinein. Frau Schwarzer ist stolz auf die Frauennationalmannschaft, die Weltmeister wurde. Und findet Männer, die Männerfußball schauen und zu viel in Fußballspiele hineininterpretieren und die Spieler zu Helden stilisieren, doof.

Dass dieses Turnier großartig wird, wurde mir erst sehr viel später klar, als es Zeit für die Großbildleinwand und echtes Bier war. Diese Erkenntnis lag weder an a) einem der vielen neuen Fußballlexika speziell für Frauen (wahlweise auch den zahlreichen Erklär-Sammelkarten diverser Frauenzeitschriften) noch an b) dem süßen goldgelben Herz, das bei der Übertragung der EM-Spiele in Portugal den goldgelben Ball fest umschlossen im Zwei-Minuten-Takt – von der, wie Kommentator Reinhold Beckmann sagt, „Weltregie“ – eingeblendet wird und nur mittelmäßig subtil an den aktuellen Claim „Ich liebe es“ von McDonald’s erinnert – zufälligerweise auch Sponsor der EM. Sondern das lag an Woody Allen und Antonios Nikopolidis, dem griechischen Tormann.

„Ich tippe 2:2“, erklärte Andi, als gerade ein portugiesisches Schiff behäbig und schwer symbolisch während des Eröffnungsspektakels über den Fußballrasen gerollt wurde. „Weil 1:0 darf man nie tippen, denk mal nach, sobald das 1:1 fällt, haste keine Chance mehr, dass dein Tipp richtig ist.“ Ich tippe nie. Schätze aber nichts mehr als Andis Profitipps. Eröffnungszeremonien sind zum Aufwärmen – auch einer dieser Andi-Tipps. Sie sind stinklangweilig, dachte ich auch diesmal. Bis da plötzlich auf dem Rasen einer der großartigen Woody-Allen-Filme zu laufen begann. Lauter Männekens in orange schlabbrigen Ganzkörper-Anzügen. Leider sprangen sie nicht aus einem Skrotum, wie die kleinen feinen Spermien aus „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber nie zu fragen wagten“, sondern trugen nur orangefarbene Planen durch die Spielfeldgegend. Trotzdem. Ich war hin und weg. Cinema Portogiso, für einen Augenblick. „Mhhm“, murmelte Andi, versunken in einen Turnier-Spielplan. „Was?“

Als er aufblickte, waren Schiff und Männekes längst verschwunden. Nur Beckmann war noch dabei, sich in die seelischen Tiefen der portugiesischen Kultur einzufühlen, und wurde nicht müde, die „Melancholie“ zu erkunden. Dann endlich die Nationalhymnen. Diesmal, sensationell für ein Eröffnungsspiel, lag die Frauenquote unseres Schaukollektivs immerhin bei einem Drittel, zwei Frauen, vier Männer. Wenn Deutschland spielt, sieht das Verhältnis anders aus. „Frauen sind patriotischer“, meint Andi. Alice Schwarzer würde sagen, sie haben bei diesen Spielen mehr Interesse, da der Identifikationswert mit der Mannschaft höher sei.

Andi war für Portugal. Ganz klar, weil es die bessere Mannschaft ist, die den schöneren Fußball spielt und damit das natürliche Sport-Recht hat, zu gewinnen. Meine Sympathien galten der griechischen Mannschaft. Was sie nicht so sehr ihrem deutschen Trainer Otto Rehhagel verdankte, sondern ihrem Underdog-Status. Und Antonios Nikopolidis.

„Man, das ist doch brotlos! Brotlose Kunst, der muss ins lange Eck!“, schrie Andi schon nach zwanzig Minuten Spielzeit. Portugal sah nach allem aus, nur nicht nach der besseren Mannschaft. So viel war auch mir klar. Andi hat ja den eigentlichen Vorteil, das Spiel lesen zu können, so wie es jeden wahren Fußballprofi auszeichnet. Sein Leidensfaktor war dementsprechend hoch. Und er somit im Nachteil. Ich war glücklich. Hatte Andis Fachwissen, ein schönes Tor – Tore sind wichtig – gleich in der sechsten Minute, für Griechenland, ein weiteres Tor, einen Foulelfmeter – Foulelfmeter sind besonders wichtig, erhöhen das Tragik-Potenzial – und einen Tormann, nicht schön, aber interessant. Nikopolidis, 32, graue Haare, nicht elegant, aber riesig, ungelenk, aber erfolgreich. Kein Beckham, ein Fußballer.

„Frauen sind rationaler“, sagt Andi, „Männer betriebsblind.“ Fühlt sich ganz so an.