achtung! private sektorengrenze in kreuzberg von CAROLA RÖNNEBURG
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Das Berliner Haus, in dem ich wohne, ist teilprivatisiert: Die Anlieger des zweiten Hofes kauften ihren Wohnraum. Schön haben sie es hier, im tiefsten Kreuzberg. Der ehemalige Stall ist umgebaut, genauso die frühere Werkstatt, die geräumigen Etagen des Fabrikgebäudes sind saniert und modernisiert. In akribischer Kleinarbeit beackerten die Hinterhauseigentümer außerdem Grund und Boden. Sie besserten das Kopfsteinpflaster aus, fällten einen großen Baum und legten einen Garten an, in dem nun zarte Zierpflanzen blühen. Nichts stört das Idyll. Müll-, Altglas- und Plastikcontainer stehen im ersten Hof, selbstverständlich auch die Biotonne – dort, wo Miete gezahlt wird.

Diese Insel der Seligkeit auch fürderhin zu schützen, war sicherlich der Grund, weshalb just auf der Grenze zwischen dem ersten und dem zweiten Hof ein Schild angebracht wurde. „Privateigentum“, hieß es an der Durchfahrt, „Zufahrt nur für Anlieger. Spielen verboten. Eltern haften für ihre Kinder.“

Spielen verboten? Das erschien mir einen Moment lang unzeitgemäß. Immerhin, dachte ich, hat erst eines der neun Kinder, die Vorderhaus und Seitenflügel bevölkern, ein rabaukenfähiges Alter erreicht. Überzogen, lautete mein vorschnelles Urteil, doch je rationaler ich das Verdikt betrachtete, umso verständlicher, nein, logischer erschien es mir. Trieb sich nicht vor zwei Wochen – ich sah sie mit eigenen Augen – eine Gruppe Nachbarskinder bei uns herum? Im ersten Hof, wo sie den Anschluss für den Gartenschlauch nutzten, also schon in unmittelbarer Nähe der liebevoll betreuten Rabatten? Sicher, die Besucher waren noch so jung, dass man ihnen helfen musste, ihre Wasserbomben zu verknoten, aber wie schnell verlegt sich eine solche Gang aufs Kicken gegen Fabriktore? Womöglich planen sie längst, ihr Hauptquartier vor den Werkstatt-, pardon: Atelierseingang zu verlegen, dort eines Tages heimlich erste Zigaretten zu rauchen und die Kippen unter das wehrlose Kirschbäumchen zu schnippen. Und wenn ich den heute knapp vierjährigen Yannik betrachte, der ein Stockwerk unter mir aufgezogen wird, so ist schon heute abzusehen, wo dieser Junge seine Pfeil- und Bogenphase ausleben wollen wird: im zweiten Hof, mit Freunden und Gebrüll.

Ich kann mir von daher überhaupt nicht erklären, welcher Teufel mich ritt, als ich das Schild an der Durchfahrt um ein weiteres ergänzte. „You are leaving the playground sector“, stand darauf. Nur einen halben Vormittag hing es dort, dann war es von den privaten Mauern entfernt – offenbar hatte aber bereits dieser kurze Zeitraum ausgereicht, eine Art „Broken Windows“-Prozess in Vorderhaus und Seitenflügel loszutreten. Ich war es jedenfalls nicht, die das „Spielen verboten“-Schild am Nachmittag von der Wand riss, ich fuhr auch nicht später mit dem Auto darüber hinweg, und vor allem stopfte ich es nicht in den Müllcontainer, nachdem man es erneut aufgehängt hatte.

Zu spät – ich trage Schuld. Wie ich das alles wieder gutmachen soll, weiß ich nicht. Vielleicht sollte ich nachbarschaftliche Hilfe anbieten, wenn die Durchfahrt vermint wird.