herr tietz macht einen weiten einwurf
: FRITZ TIETZ über die Tour im Fernsehen

Sirrende Meditation

Die Tour de France gilt als das Radsportereignis des Jahres. Viel mehr aber noch ist die Tour eine wunderbare Fernsehsendung, wenn nicht die wunderbarste überhaupt. Ich jedenfalls kann mir kaum ein ansprechenderes TV-Vergnügen denken, als dieser bunten Rotte Radfahrer stunden- und gern auch tagelang dabei zuzuschauen, wie sie beherzten und unermüdlichen Tritts durch das sommerlich schöne Frankreich sirren. Entspannendere Unterhaltung kann Fernsehen eigentlich nicht bieten: Permanente, nicht zu flotte Vorwärtsbewegung, gepaart mit ständig wechselnden Ausblicken auf die herrlichsten Land- und Ortschaften, dazu die sportliche Geschichte der jeweiligen Etappe mit ihrer unvorhersehbaren, weil von den Unwägbarkeiten des Wettkampfs bestimmten Dramaturgie. Die französischen Fernsehleute wissen diese Elemente jedes Jahr aufs Neue sehr meisterlich zu einem hübsch dahinsummenden, gelegentlich dramatisch sich zuspitzenden Bilderreigen zu verdichten, der reizvoll bis ins Ziel und selbst über Stunden sehr kurzweilig anzuschauen ist, ohne dass es einen so klebrig ermattete, wie das ja nach einer Viertelstunde „Wetten dass?“, zehn Minuten „Tatort“ oder einer Sekunde „Christiansen“ die Regel ist. Von TV-Übertragungen anderer Sportarten wie Skispringen, Autorennen oder Golf ganz zu schweigen.

Gleichwohl, und ich hab’s hier schon mal zeternd beklagt, wird einem als deutschem Fernsehzuschauer der rein meditative Tour-Genuss von den heimischen Sendern leider arg verhagelt. Die Radsportfritzen von ARD und ZDF meinen nämlich – und so auch dieses Jahr wieder – das Angebot des französischen Bilderbogens andauernd durch eigenproduzierte Einspieler oder Live-Schalten zu mikrofonbewehrten Quatschtanten und sonst welchen überflüssigen Streckenposten, Grüßonkeln oder Experten aufpeppen zu können. Und drosseln so doch bloß immer wieder die optimale Betriebstemperatur der Sendung abrupt auf Null und zerstören deren vom Ereignis vorgegebene Dynamik, indem sie schroff den Rückwärtsgang einlegen, weil sie unbedingt einen „Was bisher geschah“-Rückblick, ein Fahrerporträt oder irgendein Palaver dazwischenschieben müssen. Tour interruptus! Als stießen sie einem in voller Fahrt einen Regenschirm in die Speichen, als schlügen sie einem das Weinglas im genießerischsten Moment vom Munde, als platzten sie einem während des köstlichsten Verkehrs ins Separee – so lassen sie da immer wieder ihren TV-magazinigen Instant-Brei ins französische Fernsehmenü platschen. Dazu sorgen lästige Gewinnspieltrailer, Reklamespots und Nachrichten bei ARD und ZDF dafür, dass die Tour im deutschen Fernsehen nie durchgehend das tut, was sie idealerweise dort tun sollte, nämlich ohne jede Unterbrechung vom Start weg bis ins Ziel hinein einfach rollen, rollen, rollen.

Warum ich denn nicht zum Privatsender Eurosport wechsele, der die Tour ebenfalls überträgt, werde ich jetzt sicher schlaumeierweise gefragt. Weil da der Ton klingt wie von einem Kindercassettenrecordermikrofon aufgenommen, lautet meine Antwort. Und weil da die Kommentatorenstimmen von einem Geräuschpegel überlagert sind, der die Vermutung nahe legt, dass die ohnehin eher dem Faseln und Stammeln zuneigenden Eurosport-Leute die Tour aus einer öffentlichen Telefonzelle reportieren, neben der gerade ein internationaler Marktschreierwettbewerb stattfindet – und zwar in den Disziplinen Laut und Durcheinander bzw. Sehr Laut und Wild Durcheinander.

Dagegen kommt der Kommentatorenton in ARD und ZDF sowohl akustisch als auch inhaltlich regelrecht angenehm daher. Nein, auf die sonor und kompetent das Bild beplaudernden Stimmen der öffentlich-rechtlichen Off-Kommentatoren möchte ich bei der Tour nicht verzichten. Alles übrige Personal aber, das die deutschen Sender alljährlich in Fahrerfeldstärke nach Frankreich entsenden und das dort dann nichts tut, als einem auf die Nerven zu gehen, kann von mir aus getrost zu Hause bleiben.

Fotohinweis: Fritz Tietz ist 44 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.