Ich sag mal „Arbeit“

Es gibt in Deutschland eine Randgruppe, die zu unscheinbar ist, als dass es lohnte, über sie zu sprechen: Diese Menschen haben keine großen Ersparnisse, dagegen aber eine „vielleicht nicht ganz so gute“ Ausbildung; sie sind nicht „hip“, noch nicht mal „kreativ“ – und haben es trotzdem satt, für andere zu arbeiten. Sie möchten sich selbstständig machen, das Einzige, was ihnen fehlt, ist noch die durchstartende Geschäftsidee. Wer im Internet nach Anregungen sucht, gelangt fast zwangsläufig auf Seiten, die sogenannte erfolgreiche, da bereits vielfach „erprobte“ Geschäftsideen vorstellen. Und bei der Vorstellung bleibt es nicht, denn die Ideen sollen auch verkauft werden. Es handelt sich um Franchise-Anbieter.

Anstatt den Sprung ins kalte Wasser allein zu wagen, kann man sich hier gegen eine Gebühr von mehreren tausend Euro einen „Anteil“ an der „erprobten Geschäftsidee“ des „Systemgebers“ erkaufen. Das Franchise-Unternehmen bietet dafür umfassende Einarbeitung und zielgerichtete Begleitung des neuen Mitarbeiters in seine erfolgreiche, „gesicherte Existenz“. Das klingt zu gut, um wahr zu sein: Mit ein paar tausend Euro Startkapital kann jeder alles machen, schließlich garantiert der „Systemgeber“ ja für die erfolgreiche Einarbeitung.

Allerdings: Neben der größeren Sicherheit, von der der „Ideennehmer“ durch die Anbindung an ein gut eingeführtes Unternehmen profitieren kann, gibt es auch hier für die Einzelperson Nachteile, die zumindest bewusst abgewogen werden sollten. Das Risiko dafür, ob das Geschäft funktioniert oder nicht, trägt zu hundert Prozent der Franchisenehmer. Mit seinem Geld kauft er nur das Recht, die Idee des Unternehmens weiterzuverwenden. Gängig sind jedoch prozentuale Abgaben der Einnahmen an das Unternehmen, häufig gibt es auch Abnahmepflichten für Produkte der Firma. Bei den Angeboten handelt es sich hauptsächlich um relativ gängige Bereiche aus dem Dienstleistungssektor, große Vorkenntnisse seien nicht nötig, wie die Franchise-Unternehmen, die das Profil der Bewerber natürlich möglichst breithalten wollen, werben.

Ein bisschen Affinität zur späteren Beschäftigung sollte allerdings schon vorhanden sein. Denn obwohl Franchising Aspekte einer beruflichen Neuorientierung aufweisen kann, handelt es sich tatsächlich ja bloß um das Eingangstor zum knallharten Selbstständigen-Survival. Bodenständige Tätigkeiten wie Wohnungsmodernisierung oder Gebäudeerhaltung erfordern allerdings handwerkliches Geschick. Einen Pizzaservice zu gründen, verlangt neben einer Küche zumindest nach einem Führerschein. Oder einem zweiten Angestellten. Und wer sich für den Bildungssektor oder den Beratungsbereich interessiert, muss gut mit Menschen umgehen können.

Gebäudeerhaltung, Pizzaservice, Hausaufgabenbetreuung: Diese Geschäftsideen mögen erprobt sein, sind vielleicht sogar erfolgreich, wenn man sich geschickt anstellt; eines sind sie auf jeden Fall nicht, nämlich irgendwie außergewöhnlich. Beinahe bekommt man den Eindruck, da hätte man auch selbst drauf kommen können. Sicher, der eigenverantwortliche Schritt in die Selbstständigkeit will auf jeden Fall gut durchdacht sein. Für den Anfang kann es ja aber auch erst einmal genügen, das eigene Unternehmen in Nebentätigkeit aufzubauen. 2008 haben 63 Prozent aller Unternehmensgründer als Doppeljobber gearbeitet. Die Vorteile liegen letztendlich auf der Hand: So kann man die eigene Geschäftsidee erst mal in Ruhe ausprobieren – auch ohne gleich zu Beginn tausende von Euro dafür auszugeben, dass jemand anderes sie vorher hatte. ALA

Wenn die Arbeit zum Projekt verkommt, ist der Feierabend fern. Und das Konto bleibt leer

VON MARTIN REICHERT

Immer wenn es um das Thema „Neue Arbeit“ geht, steht die Arbeit an sich stets in Gänsefüßchen, zumindest metaphorisch. Ich sag mal „Arbeit“, wobei die einzige Anstrengung darin besteht, die Hände in die Luft zu heben und mit den Fingern pantomimisch Anführungsstriche darzustellen. „Wir nennen es Arbeit“ von Holm Friebe und Sascha Lobo – eine Art „Sorge dich nicht, lebe!“ für die verhinderte „Creative Class“ (Richard Florida), ist schon ein moderner Klassiker, und nun hat Holm Friebe, diesmal zusammen mit Thomas Ramge, noch mal nachgelegt: „Marke Eigenbau. Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“. Die darin postulierte Weltrevolution sieht so aus: Geistesblitze sprühende Lohas verwirklichen sich selbst in freiberuflichen, gern webgestützten Kreativprojekten, das heißt, sie gehen einer „Arbeit um ihrer selbst willen“ nach. Zu einem bescheidenen Lohn natürlich: Aufmerksamkeit und Anerkennung. Der Rest der Weltherrschaft wird in Form nachhaltigen Konsums an sich gerissen – klug geshoppt, Weltelend gestoppt.

Man muss kein Betriebswirtschaftler sein, um auf folgende Frage zu kommen: Wie bezahlt man mit Aufmerksamkeit und Anerkennung die Miete? Und bekommt man einen Hybrid-Toyota eigentlich für umsonst, wenn man einen Superblog aufgestellt hat, der von anderen Bloggern für relevant gehalten wird, nicht jedoch von Unternehmen – ob nachhaltig wirtschaftend oder nicht – in der Form, dass sie dort Anzeigen schalten würden? Am ehesten verdient man in diesem Business übrigens Geld, indem man über es schreibt, und zwar in konventionellen Medien vom Hochglanzmagazin bis zum guten alten Verlag, der auf der Grundlage von Holz Bücher druckt und Vorschüsse vergibt.

Das liebe Geld. Um sich dem Lifestyle der „Neuen Arbeit“ ohne Albträume, Zukunftsängste und psychovegetative Nebenerkrankungen hingeben zu können, scheint es der Aussicht auf ein großes familiäres Erbe zu bedürfen. Oder zumindest regelmäßiger Bezuschussung durch die zwar geliebte, aber leider auch extrem langlebige Elternschaft. Die Gewissheit, eines Tages ein Haus mit fünf Mieteinheiten zu erben, erleichtert gewiss die Entscheidung, einen Internetversand für Kekse mit Manga-Illustrationen in den Geschmackssorten Fenchel, Weihrauch und Hasch zu gründen. Bis zur Ausschüttung tröstet man sich mit staatlichen Subventionen in allen Variationen – von der Existenzgründerhilfe bis zum Quartiersmanagement-Topf – und beutet sein privates Netzwerk aus. Letzteres wäre dann das milieugerechte Human Resource Management: Die Website muss Carola entwerfen, die Werbung macht Olaf, und die elende Backerei wird an Schwarzarbeiter mit Migrationshintergrund outgesourct, denn dafür sind sich selbst die besten Freunde zu schade.

So etwas tut am Ende natürlich niemandem wirklich weh. Und diese Form der Revolution wird wohl auch nicht dazu führen, dass der Airbus demnächst nicht mehr von starken Händen in Toulouse montiert wird, sondern virtuell an einem Klapprechner in Berlin-Mitte, irgendwann nach dem Aufstehen morgens um elf. Ein solcher Appell an die Massen erinnert ein wenig an Studentendemos für bessere Studienbedingungen, die zufällig an einer Baustelle vorbeikommen. Es finden sich immer ein paar Kommilitonen, die zitathaft „Reiht euch ein! Reiht euch ein“ in Richtung der werktätigen Massen skandieren, die wiederum meist kein Wort verstehen, weil es sich um moderne Arbeitssklaven aus Osteuropa handelt. Und wenn die wirklich mitmachen würden bei dem gemeinsamen Anliegen, würde es in der Unibibliothek ja noch voller. So ähnlich ist das wohl mit den Massen, die in Zukunft mal schön kreative Projekte mit Selbstverwirklichungscharakter anschieben sollen.

Unter der Weltrettung geht es natürlich nie, wenn es eigentlich um die eigene Rettung geht, also die Glücksvorstellungen der Mittelschichten. Der britische Soziologe Richard Sennett, Jahrgang 1943, darf es sich in seinem Alter jedenfalls erlauben, diesbezüglich strenge, nüchterne Ansagen zu machen. Zum Beispiel indem er darauf hinweist, dass man, statt sich in in vagem Projektwesen zu verlieren und zu verschleißen, auch als Krankenschwester ein geregeltes, emotional erfülltes Leben führen kann, auch wenn das kein glamouröser Beruf ist. Es hat eben auch seine Vorteile, wenn man seine Rechnungen zahlen kann, einigermaßen imstande ist, seine Zukunft zu planen und vor allem: einen richtigen Feierabend hat.

Feierabend, ein Wort, das in den Ohren der Projektmenschen mindestens so grausam klingt wie Festanstellung. Hört sich eben alles nach wirklicher Arbeit an. Nach einer Tätigkeit, in der nicht nur die Kür, sondern auch die Pflicht gefragt ist – aber es ist eben viel schöner, anmutige Pirouetten zu drehen und auf Applaus zu hoffen, als mit dem Eismaschinentraktor die Bahn wieder in einen glatten, ordentlichen Zustand zu bringen. Dafür haben wir Leute.

Der Wiener Kulturwissenschaftler Robert Pfaller hat in einem Interview mit dieser Zeitung unlängst gefordert, den Begriff „Projekt“ zu verbieten, denn er sei nichts weiter als eine Chiffre für die Erlaubnis zur kompletten Ausbeutung durch andere. Wer sich mit Anerkennung und Aufmerksamkeit begnügt, bekommt eben kein Geld, sondern höchstens einen feuchten Händedruck. Schön blöd eigentlich – aber laut Pfaller freuen sich die Ausgebeuteten auch noch über die Ausbeutung, denn sie verzichten freiwillig auf ihre eigene Beute, Geld-Sex-Macht-Glück, und freuen sich stattdessen darüber, mit sich und ihren Bedürfnissen im Einklang zu stehen, „Ich-konform“ zu sein. Den Reibach machen andere und können sich mit dem vielen Geld einen schönen Rahmen für ihr angebliches Unglück bauen.

Glücksmodelle in einer von Narzissmus geprägten Gesellschaft, eins mit dem Ich und völlig isoliert vom Rest der Welt, die beständig Tatsachen schafft. Häuser baut, Airbusse zusammenschraubt, Milliarden verbrennt, Kapitalströme lenkt, Kriege anzettelt.

Vielversprechender sind da die Vernichtungsfantasien der nachrückenden Medienschaffenden, die den Tageszeitungen mithilfe von Blogs die Lampe auspusten und mit „YouTube“ dem Fernsehen den Saft abstellen wollen: Hey, alte Medien, ihr seid überflüssig, ihr werdet untergehen! Und klar: Euer Untergang wird unser Triumph. Natürlich kann einem keiner dieser Medienrevolutionäre genau sagen, warum man mit wüstem Getwitter besser informiert sein sollte als mit professionell recherchierten journalistischen Berichten und Analysen – und auch nicht so genau, wer davon eigentlich leben soll. Doch zumindest scheint unter dieser Kampfansage der Wille geborgen, teilzunehmen. Womöglich insgeheim am liebsten an der Welt der alten Medien, in der alle Stühle stets schon in festem Besitz zu sein scheinen.

Anhänger des Projektwesens trauen sich auch nur dann, wenn wirklich niemand in Hörweite ist, zu sagen, dass sie manchmal nachts von einer Festanstellung träumen. Dies zuzugeben scheint peinlicher, als seinen letzten feuchten Traum offenzulegen. Man könnte dafür in gewissen Kreisen gesteinigt werden. Das Mantra vom „Albtraum Festanstellung“ ist schließlich das Vaterunser in den heiligen Hallen, nein: Projekträumen, der schönen, neuen Arbeitswelt.

Anderswo haben die Menschen dafür Angst, aufgrund der Wirtschaftskrise ihre Festanstellung zu verlieren, monatelang in Kurzarbeit gehen zu müssen, langzeitarbeitslos zu werden.

Aber das deutsche Bürgertum hat seine Fähigkeit, sich glücklich zu reden und vor allem seine Existenz zu rechtfertigen, nicht verloren, sondern modernisiert. Bei den Nachwachsenden steht nicht mehr die kulturkritische Klage im Vordergrund – stets darauf bedacht, die eigene Kompetenz und Bedeutung ins rechte Licht zu rücken –, sondern ein geradezu amerikanisch anmutender Zweckoptimismus. Die Lage ist beschissen, aber wir machen das Beste daraus. Das ist nun wirklich keine schlechte, vielmehr eine äußerst zeitgemäße Haltung. Vielleicht geht es aber am Ende eine Nummer kleiner, es muss ja nicht gleich eine Revolution ausgerufen werden. Den von dieser spezifischen Arbeitsmarktsituation Betroffenen würde schon eine Politik der kleinen Schritte auf ganz schlichter, individueller Ebene helfen. „Projekte“ die nicht nur der Ich-Kongruenz wegen aufgestellt werden, sondern auch tatsächlich Geld abwerfen. Selbstorganisationsstrukturen, die einem das „Projekt“ für einen gewissen Teil des Alltags vom Halse halten, nämlich den Feierabend. Und natürlich arbeiten ohne Anführungsstriche. Was nutzt ein schickes, städtisch subventioniertes „Ladengeschäft“, in dem aparte Kistchen mit opulent-hysterischem Blumenmuster um ihrer selbst willen hergestellt werden, wenn man als potenzieller Kunde mit dem Begehr nach potenziellem Erwerb arrogant und verblasen auf die Website des „Projekts“ verwiesen wird, weil gerade beste Freunde zu Besuch sind und man jetzt keinen Nerv auf kommerziellen Verkaufsquatsch hat. Wahnsinn.

MARTIN REICHERT, Jahrgang 1973, ist taz.mag-Redakteur und hat ständig Probleme, Beruf und Privatleben zu trennen. Und das sogar trotz „Festanstellung“