DIE EU SCHAFFT ENDLICH IRREFÜHRENDE WERBUNG FÜR LEBENSMITTEL AB
: Den Verbraucher schützen – vor sich selbst

In der EU-Verbraucherpolitik ist es schon ein Erfolg, wenn die größten Skandale langsam beendet werden. Bisher dürfen die Lebensmittelhersteller jeden Quatsch auf ihren Quark schreiben: „Verbessert das Wohlbefinden“, „Stärkt die Abwehrkräfte“ oder „Reduziert den Stress“. Für solche Aussagen soll es nun eine wissenschaftliche Grundlage geben müssen. Richtig so. Schließlich reicht es, wenn man als Verbraucher beim Gebrauchtwagenkauf mit vagen Versprechen („technisch tipptopp“) übers Ohr gehauen wird. Bei den Lebensmitteln wüsste man gern konkret, was in ihnen steckt.

Der Vorstoß von EU-Verbraucherkommissar David Byrne zeigt aber auch, wie jämmerlich es um die Verbraucherkultur bestellt ist. Denn tatsächlich kann jeder, der alt genug zum Einkaufen ist, wissen, was er da tut. Ein Jogurtdrink, der Abwehrkräfte verspricht? Lachhaft. Eine Schokocreme für meine Tagesration Kalzium? Ein Witz. Sobald die Menschen dem Alter entwachsen, wo sie sich ausschließlich von Eis und Kartoffelchips ernähren, können sie sich über richtige und falsche Ernährung informieren. Zu kompliziert? Ach was. Wer den Grundsatz: wenig Zucker, Salz, Fett und Fleisch, dafür viel Obst, Gemüse, Nudeln, Kartoffeln und Reis, beherzigt, der liegt richtig.

Ernährungstipps sind kein Geheimwissen. Überall liegen Broschüren aus, in denen erklärt wird, wie man es verhindert, seinen Magen zu vergewaltigen. Das Problem ist, dass ungesunde Ernährung von ungesunden Lebensumständen kommt: Hektik, Überlastung, Armut, soziale Verwahrlosung. Nötig wäre eine Strategie, die den Menschen ermöglicht, auch für wenig Geld und Zeit genussvoll und bewusst essen zu können. Wenn das gelänge, würden sich auch andere Probleme wie der Preiskampf im Supermarkt und die Vernachlässigung von Bioprodukten lösen lassen. Eine striktere Kennzeichnung für Lebensmittel in der EU ist da ein guter erster Schritt. Doch darüber hinaus müssten die Verbraucherschützer ihre Aufgabe auch verstärkt darin sehen, den Verbraucher zu schützen – und zwar auch vor sich selbst.

BERNHARD PÖTTER