Die US-Regierung entdeckt die Welt

Bundesaußenminister Joschka Fischer ist diese Woche nicht der einzige Gast im Weißen Haus. Auch Kofi Annan und Tony Blair werden erwartet. Dabei wird es immer auch um den Irak gehen. Denn Washington will dort eine internationale Beteiligung

aus Washington MICHAEL STRECK

In der US-Hauptstadt geben diese Woche die Gäste im Weißen Haus die Klinke in die Hand: UNO-Chef Kofi Annan, der britische Premier Tony Blair und Bundesaußenminister Joschka Fischer. Die US-Regierung ist dabei, ihre Antennen wieder in Richtung Welt auszufahren, nachdem sie sich lange Zeit im Alleingang übte und feststellen musste, dass sie die Rolle als Weltpolizist überfordert.

US-Präsident George W. Bush und Blair sind zu Hause heftig unter Beschuss und müssen sich täglich vorwerfen lassen, die Welt belogen zu haben, da sie unbedingt einen Kriegsgrund gegen den Irak benötigten. Doch statt sich gemeinsam der Vorwürfe zu erwehren, hat Bush dem britischen Geheimdienst den schwarzen Peter in der Affäre um den gefälschten Uranhandel zwischen Irak und Niger zugeschoben – die Atmosphäre zwischen London und Washington ist daraufhin abgekühlt.

Stattdessen stehen auf einmal die Kriegsgegner Frankreich und Deutschland wieder höher im Kurs. Vor kurzem noch beschimpft und mit Handelsboykott bedroht, schwenkt die Bush-Regierung nun eine kleine weiße Fahne. Als Fischer im vergangenen November letztmalig in die US-Hauptstadt reiste, war noch vom „Gang nach Canossa“ die Rede. Damals hatte lediglich Außenminister Colin Powell einige Minuten für ihn übrig. Nun bleibt er gleich vier Tage, und Vizepräsident Dick Cheney nebst Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice gewähren Audienz.

Diese Ehre wurde vor nicht allzu langer Zeit nur der deutschen Opposition zuteil, als das Weiße Haus mit gezielt inszenierten Kränkungen CDU-Chefin Angela Merkel und Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch empfing und Letzterem gar die Weihen höchster Aufmerksamkeit durch den Präsidenten verlieh.

Das war kurz vor und nach dem Krieg, die USA waren optimistisch, die Lage im Nachkriegs-Irak rasch in den Griff zu kriegen. Doch die US-Regierung musste einsehen, dass sie der Situation allein nicht Herr wird. Ausgerechent Pentagonchef Donald H. Rumsfeld sendete die ersten versöhnlichen Signale über den Atlantik und bat die „alten Europäer“ um Hilfe.

Nun werden weder Powell noch Cheney als Bittsteller auftreten oder gar einräumen, einen unnötigen Krieg geführt und die eigenen Kräfte überschätzt zu haben. Und Fischer wird auch nicht mit Gastgeschenken aufwarten, obwohl es verlockend ist, beim Spiel „Teile und herrsche“ nun mit am Tisch sitzen zu können. Doch der deutsche Außenminister kann bei seinem Besuch selbstbewusst die augenblickliche Schwäche der Bush-Regierung als Chance wahrnehmen, sich als Brückenbauer der transatlantischen Beziehungen in Szene zu setzen.

Beide Seiten werden ihre Wünsche vortragen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit vor allem im Irak, aber auch in Afghanistan und im Kampf gegen den Terror insgesamt ausloten. Doch so viel steht fest: Deutsche Soldaten wird es im Irak, wenn überhaupt, nur mit UNO-Mandat geben. Die USA sind bislang jedoch nicht mit einer entsprechenden Bitte an den UNO-Sicherheitsrat herangetreten. Unklar ist, ob die Amerikaner diesen Schritt überhaupt in Erwägung ziehen, da er als Gesichtsverlust empfunden werden könnte.

Der Irakkrieg hat für alle Seiten Fakten geschaffen. Auch die Kriegsgegner können nicht wollen, dass die Befriedung des Irak scheitert. Wie daher ein deutscher Beitrag ohne ein UNO-Mandat aussehen kann, zum Beispiel der Einsatz von Polizisten und Ingenieuren oder eine Entlastung der Amerikaner in Afghanistan, bleibt unklar. Doch Fischers Besuch kommt zu einer Zeit, in der in Washington vieles in Bewegung ist. Die USA sind bereit, den Fall Irak zu internationalisieren. Der von konservativen Politikern oft geschmähte Multilateralismus wird wieder salonfähig. Schneller als gedacht sind die USA auch willens, den tiefen Graben zu Europa, der durch den Irakkonflikt entstanden ist, wieder zuzuschütten. Vielleicht geht ja plötzlich im Oval Office die Tür auf und Bush gesellt sich zu Cheney und Fischer und fragt, was denn Gerhard so macht.