Nicht auf Liebe eingestellt

Margareth Obexers „Von Kopf bis Fuß“ in Osnabrück uraufgeführt

Für Uraufführungen ist in Osnabrück das emma zuständig. Das emma ist die Studio-Bühne des Osnabrücker Theaters und für den Intendanten Norbert Hilchenbach eine sehr wichtige Spielstätte, „weil hier inhaltlich und ästhetisch Stücke möglich sind, die im großen Haus nicht machbar sind.“

Die kleine Spielstätte hätte eine ganz große werden können, wenn es nach dem Wunsch des Theaterleiters gegangen wäre. Das emma, so die Idee, wäre dann aus den Räumen des ehemaligen Ernst-Moritz Arndt-Gymnasiums in das frühere Fabrik-Gebäude Salzmarkthalle gezogen. Eine Verdreifachung der Zuschauerkapazität wäre die Folge gewesen.

Mehr Platz hätte dem emma-Theater gut getan: Jetzt passen gerade einmal 100 Gäste in die kleine Spielstätte, an der attraktive Eigenproduktionen und Uraufführungen geboten werden. Zum Beispiel Hort und Totschlag von Roland Hüve, eine Neuauflage des Nibelungenlieds, mit aktuellen Anspielungen auf George W. Bush. Allerdings waren von dieser Leistung nicht alle begeistert: Der ein oder andere Osnabrücker verließ verärgert geräuschvoll den Saal.

In Margareth Obexers Von Kopf bis Fuß sind alle Zuschauer brav bis zum Ende geblieben. Anstößiges gab es hier auch nicht zu sehen. Es sei denn, man würde die gleichgeschlechtliche Quasi-Vergewaltigung Siris dazu zählen: Siri, eine junge Schauspielerin, ist die Hauptfigur in Obexers Stück. Gerade als sie an der wirklichen Liebe zweifelt, trifft sie Meret. Die große, schlanke Frau wickelt sie mit Komplimenten ein, macht ihr unverhohlene Anträge. Siri bleibt distanziert und sträubt sich. „Und was ist mit mir?“, fragt sie. Aber Meret kommt immer dichter heran, berührt mit ihren Händen, mit ihren Lippen den Hals ihrer Angebeteten. Sie schiebt Siris Hand in ihre Hose. Dann wird sie plötzlich kühl und sachlich: „Ich muss jetzt gehen.“ Zurück bleibt ein verletztes, verlassenes und taumelndes Etwas.

Die 33-jährige Autorin beschreibt in ihrem Stück, wie bedrohlich und besitzergreifend Liebe sein kann. Schwärmereien wie: „Ich brauche dich“, seien zwar gut gemeint, so die Dramatikerin nach der Premiere, „müssen für den anderen aber nicht unbedingt ein Geschenk sein.“ Genau dieses Problem hat Siri: Ihr Exfreund ist auf einen Gipfel geklettert und hat sich heftige Erfrierungen zugezogen. Alles aus Liebe zu ihr. Hilflosigkeit, kühle Distanziertheit, Wut und Verletzlichkeit – die junge Schauspielerin Nadia Rahmanian, füllt die Hauptrolle hervorragend aus, erweckt Siris Charakter zum Leben. Leider wirkt Christian Ahlers mit der Rolle des Schauspielpartners und Lovers von Siri überfordert. Zu gekünstelt ist sein Auftreten.

Die Bühne von Harald Stieger ist einfach gehalten. Die nach hinten enger werdenden grauen Wände demonstrieren, wie sehr Siri in den Liebesvorstellungen ihrer Umgebung gefangen ist. Ein paar spaßige Einfälle machen den Umbau zum Ereignis: Ein Stuhl, eine Bank, Spielplatzinventar bewegen sich wie von Zauberhand über die Bühne. Trotz dieser drolligen Einlagen bleibt Obexers Entlarvung der trivial-romantischen Liebes-Vorstellungen bedrückend. Regisseur Torsten Bischof lässt durch Überzeichnung keinen Platz für übertriebene Gefühlsduseleien. Dadurch bewegt sich die Aufführung zwischen unterhaltsamen Momenten und ernsthafter psychologischer Auseinandersetzung hin und her. Eine schwierige Verbindung, die aber bestechend gut gelingt.

Heiko Ostendorf

Aufführungen: 18. und 30. Juni sowie 7. Juli, jeweils 20 Uhr. Infos und Karten unter: ☎ 05 41 / 760 00 76