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: So dark ist die Hauptstadt: der „Gothic Cityguide Berlin“

Es gibt Berlin-Reiseführer für Frauen und Kinder, Singles, Schwule, Radfahrer, Senioren, Kunstreisende und Flusswanderer – und das ist auch gut so, denn es kann eigentlich gar nicht genug Berlin-Reiseführer geben. Höchste Zeit also, dass ein „Gothic-Cityguide Berlin“ erscheint! Denn was würde man als Angehöriger der schwarzen Jugendkultur in Berlin bloß anfangen ohne Anleitung! Man wäre verloren, würde deprimiert über bunte Sunshine-Reggaepartys oder andere lebensfrohe Outdoor-Veranstaltungen irren, würde traurig in lebensbejahenden House-Clubs stehen oder, noch schlimmer, in sanguinischen Strandbars landen.

Ein Glück für alle Gruften also, dass der Columbus Verlag nach dem „Paris Gothic Cityguide“ diesen Service nun auch für Berlin bietet. „Berlin ist die Gothic-Metropole Deutschlands“, heißt es im Vorwort, und dieser Satz wird häufig wiederholt. Was macht Berlin denn so gothichaft? Praktisch alles: die Lage „im mythischen Urstromtal zwischen den Ufern von Havel, Spree und Panke“. Die vielen Friedhöfe, massenweise Ruinen (Tacheles, Anhalter Bahnhof, Gedächtniskirche), eine verzweigte Unterwelt mit U-Bahnen, Bunkern und Luftschutzkellern, aber auch eine gut organisierte Gothic-Clubszene.

So weit der Service für Touristen und Zugereiste. Aber auch der alteingesessene Berliner kann mit dem „Gothic Cityguide“ seine Stadt völlig neu entdecken. „An der Berliner Stadtgrenze, im Bezirk Teltow südlich von Zehlendorf, liegen zwei große verhexte Kräuterkammern“, heißt es im Kapitel „Makabres, Morbides und Exotisches“. Wer hätte das gewusst? Und wer hätte geahnt, dass 13 magische Orte („magic spots“) über die Stadt verstreut liegen? Einer davon ist der Fernsehturm: „Man fällt in magischen Sog der Finsternis, hebt den schwindelnden Kopf und erahnt den mythischen Todesfluss Styx in der Ferne. Alles gleitet und glitzert … Optische Täuschungen im Jahre 2004. In 207 Meter Höhe dreht man im Telecafé in 30 Minuten einmal um die Metropole.“

Auch der Grunewaldturm, die Siegessäule und Domkuppel sind „magic spots“, nicht zu verwechseln mit den zahlreichen „verwunschenen Orten“ (zum Beispiel der Neptunbrunnen) oder mystischen Panoramen, die Berlin zu bieten hat.

Durch die schwarze Goth-Brille betrachtet werden auch ganz alltägliche Wege zum Gothic-Erlebniswalk. „Dunkle Wege“ nennt sie der Autor. Von der Oberbaumbrücke zur Insel der Jugend zum Beispiel führt voll der Gothicweg: die Aura des ehemaligen Grenzübergangs, die Neogotik der Brücke, die düstere „Gigantomanie“ des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park, das „romantisch-verspielte Panorama der Abteibrücke“ mit dem märchenhaften Gebäude auf der Insel der Jugend – alles Gothic. Interessant, wie dem Gruften alles interessant ist: die Hohenzollerngruft unterm Berliner Dom, Nicos Grab, die Mineraliensammlung im Museum für Naturkunde, Wolfgang Müllers Elfenwege, E. T. A. Hoffmanns Hang-outs am Gendarmenmarkt.

Auch die die „gothic animals“, nämlich die Wölfe im Tierpark, die Schlangen im Zoo und die Fledermäuse in der Zitadelle Spandau gehören zu Gothic Berlin.

Im Anhang des schmalen Bändchens gibt es dann noch praktische Tipps für den Gothic-Touristen. Wer Gothic-Lifestyle in Berlin lebt, holt sein Piercing bei „Blut und Eisen“ in Mitte ab, lässt sich die Haare in der „Haarschlächterei“ in Kreuzberg machen, deckt sich im „Dark Store in Friedrichshain“ mit darken Outfits und Accessoires für den „Dark Friday“ im Kato oder K7 ein. Und manchmal geht man auch nur einfach so dark was trinken im „Eschloraque“ oder in „Paules Metal Eck“.

CHRISTIANE RÖSINGER

„Gothic Cityguide Berlin“. Columbus Verlag, Oberhausen