lost in lusitanien
: Das Phantom des Fußballs

MATTI LIESKE über Zinedine Zidane und sein Problem, als Kapitän etwas tun zu müssen, was er sonst nie tut: Worte finden

Die Journalisten im Pressekonferenzraum trauen ihren Augen kaum. Erwartet haben sie die beiden Trainer von Frankreich und England, doch hereingestapft kommt plötzlich Zinedine Zidane, zweifelsfrei echt, bis zu den Fußballschuhen, die er noch an den begnadeten Füßen trägt. Den Blick starr geradeaus gerichtet, schreitet er zum Podium und lässt sich – ein wenig schwer nach den Strapazen der vorangegangenen 90 + 3 Minuten – auf einem Stuhl nieder, sichtlich bemüht, niemanden anzuschauen. Könnte ja sein, dass dies den Betreffenden zu einer Frage ermuntert. Kurz darauf kommt auch Jacques Santini, der Coach, und das Chaos, das die Organisatoren von der Uefa so gern anrichten, kann beginnen. Vor dem Spiel hatten sie die Idee gehabt, jeden der 800 Journalisten beim Betreten des Presseblocks sorgfältig mit einem Handscanner zu filzen, und dafür exakt zwei Leute abgestellt. Hätten sie das durchgehalten, wäre der letzte Pressemensch wohl gerade auf seinem Platz eingetroffen, als Zidane den Freistoß zum Ausgleich schoss. Gerade noch rechtzeitig hatten die Funktionäre jedoch ein Einsehen und schalteten auf Durchwinken um.

Nun sitzt dort Zidane, aber gefragt werden soll Santini. An einen Dolmetscher, der die Worte des französischen Trainers ins Englische, vielleicht ja sogar ins Portugiesische, immerhin die Sprache des Gastgeberlandes, übersetzen könnte, hat natürlich niemand gedacht – von Simultandolmetschern gar nicht zu reden. Immerhin findet sich ein tapferer Journalist, der zumindest die französisch-englische Schiene zur allgemeinen Zufriedenheit bewältigt. Kaum hat jedoch Santini angehoben, die wundersame Auferstehung seines Teams in der Nachspielzeit als gewaltigen moralischen Sieg zu klassifizieren, wird er erst mal unterbrochen. Die massiv-silbrige Trophäe für den „Man of the Match“ ist eingetroffen. Dieser Mann ist natürlich Zidane, die Zeremonie der feierlichen Überreichung kann beginnen. Hastig, als wäre es eine heiße Kartoffel, transferiert der vom Trophäensponsor beauftragte Ehrungsvornehmer das Gerät in die Hände des Geehrten, ein feuchter Händedruck, ein paar Fotos, und schwups sehen die ungläubigen Medienvertreter nur noch den Rücken von Zinedine Zidane, der nunmehr eilig von hinnen schreitet, als habe er irgendwo in seinem Rücken Frank Lampard erblickt, der ihn schon wieder in die Hacken treten will. Uff, das war knapp, denkt vermutlich jener Mann, den die Fans von den Rängen so zärtlich „Zi-zou, Zi-zou“ rufen, um ein Haar hätte er was reden müssen.

Das tut Zinedine Zidane gar nicht gern. Einem spanischen Journalisten, der ihn 15 Tage lang verfolgte, um ein Interview für seine renommierte Sporttageszeitung zu führen, riet er kürzlich, wenn er den Star des französischen Teams interviewen wolle, solle er doch mit Thierry Henry reden. Und manch anderer Vertreter bedeutender Publikationen lief ihm sogar ein halbes Jahr hinterher, um schließlich ein paar Minütchen Redezeit zu ergattern.

Immerhin müssen es die solchermaßen auf Distanz gehaltenen Presseleute nicht persönlich nehmen. Der spanischen Zeitung El País, die tatsächlich ein längeres Gespräch mit ihm führte – vermutlich hatten sie ihn entführt und ein paar Tage lang bei Wasser und Brot weich gekocht – verriet Zidane, dass er zu Hause genauso sei. „Meine Frau sagt immer: ‚Warum sprichst du nicht?‘ “ An gleicher Stelle gab er auch zu, dass er immerhin mit den jungen Spielern rede, weil er sich gut erinnere, wie ihm so was geholfen habe, als er selbst ein junger Spieler war. Sein größtes Pech ist, dass Marcel Desailly nicht mehr gut genug für einen Stammplatz ist. Deshalb muss Zidane den Kapitän geben, und er weiß, dass er in dieser Funktion ein bisschen mehr Gesprächigkeit an den Tag legen sollte.

Das macht sich dann auch in der Mixed Zone auf dem Weg zum Bus bemerkbar. Eloquente Kollegen wie Trezeguet, Pires, Henry oder Lizarazu geben brav ihren Senf zur Partie, da erscheint Zidane, Man of the Match, Augen geradeaus, und stapft zügig voran. Aufgeregte Rufe von allen Seiten, keine Reaktion, doch da fällt es ihm plötzlich ein: Verdammt, ich bin der Kapitän. Abrupt bleibt er stehen, sagt: „Dass wir das Spiel noch gedreht haben, zeigt, dass wir eine große Mannschaft sind.“ Und ist schon wieder weg. Noch 30 Meter bis zum Bus, der Schritt wird schneller, erneutes Journalistenflehen, sollen sie doch jammern, aber verdammt: Kapitän! Zidane bleibt stehen, schaut gequält und sagt: „Das war ein schwieriges Match.“ Noch zweimal wiederholt sich das Spiel, am Ende redet er sich sogar ein bisschen fest. Dann hat er es geschafft. Endlich Feierabend für Zizou, das Phantom des Estadio da Luz.