Botschafterin für Frieden und Demokratie

Die Kurden-Politikerin Leyla Zana wird von ihren Landsleuten gefeiert und vom türkischen Establishment als Sprecherin akzeptiert. Ihrem Bemühen um Ausgleich stehen die Interessen der Hardliner der PKK und des türkischen Militärs entgegen

AUS ISTANBULJÜRGEN GOTTSCHLICH

Es ist ein Tag, wie die Stadt ihn lange nicht mehr gesehen hat. Bereits um 9 Uhr früh sind die Straßen von Diyarbakir, der Metropole im kurdisch besiedelten Südosten der Türkei, voller Menschen. Geduldig wartet die Menge auf ihre Heldin Leyla Zana. Nach zehn Jahren im Gefängnis und drei Tagen in Ankara soll sie nun nach Hause kommen.

Leyla Zana, die bekannteste Figur des friedlichen kurdischen Widerstands und 1993 zur Abgeordneten der Stadt Diyarbakir gewählt, war 1994 – auf dem Höhepunkt des Krieges mit der kurdischen Guerilla – aus dem Parlament heraus verhaftet und wegen Unterstützung der PKK zu 15 Jahren Haft verurteilt worden.

Heute scheinen die Qualen der Vergangenheit vergessen. Am Flughafen werden Leyla Zana und die anderen drei mit ihr verurteilten ehemaligen kurdischen Abgeordneten, Hatip Dicle, Selim Sadak und Orhan Dogan, in die VIP-Lounge geführt, bevor sie auf dem Dach eines Busses ihren Triumphzug durch Diyarbakir antreten. Ein Konfettiregen geht auf die ganz in Weiß gekleidete Leyla Zana nieder, die Fahrt durch die Stadt hat Anklänge an eine Siegesparade. Selbst die Polizei schätzt die Menge am Abend auf mehr als 20.000 Menschen, tatsächlich dürften bald 100.000 Leuten die Straßen gesäumt und den Versammlungsplatz gefüllt haben.

Als sie endlich zum Mikrofon greift, begrüßt sie ihre Anhänger zunächst in Kurdisch und danach auf Türkisch. Leyla Zana ist ein Kind Diyarbakirs. Ihr Mann Mehti Zana war in den 70er-Jahren der erste unabhängige kurdische Bürgermeister der Stadt. Ihr ganzes Leben war bestimmt vom Kampf um die Anerkennung einer kurdischen Identität. Doch während sie zunächst lange im Schatten ihres Mannes oder anderer männlicher Führer der Bewegung stand, hat sich das im Laufe ihrer Haft verändert.

Leyla Zana ist eine Politikerin geworden. Sie weiß, dass überschäumender Triumph nur schadet. Als einer ihrer Mitstreiter auf dem Bus eine kurdische Fahne entrollen will, verhindert sie dies. Ihre wichtigste Aussage ist ein Appell an die Kongra-GEL/ PKK, ihren 1999 beschlossenen Waffenstillstand nicht aufzuheben, sondern wenigstens um sechs Monate zu verlängern.

Ende Mai hatte die PKK-Führung im Nordirak angekündigt, ab dem 1. Juni ihren bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Seitdem wird im Südosten geschossen, sterben jeden Tag PKK-Militante, Soldaten und mit ihnen verbündete Dorfschützer.

Noch verlaufen diese Auseinandersetzungen auf niedrigem Niveau, doch sie wecken schlimme Erinnerungen. Gleich nach den Bildern vom Auftritt Zanas in Diyarbakir zeigt das Fernsehen die Beerdigung zweier Soldaten, die am Wochenende in Tunceli, einer historischen PKK-Hochburg, erschossen worden waren. Damit ist die Lunte für eine neue Eskalation gelegt.

Dass der Kampf der PKK jetzt wieder aufflammt, halten viele Kommentatoren für keinen Zufall. Mit dem Beginn kurdischer Sendungen im Staatsfernsehen und der Eröffnung kurdischer Schulen fürchten die Hardliner unter den kurdischen Nationalisten, ihren letzten Einfluss zu verlieren. Die verbliebenen Kader der PKK im Nordirak haben Angst, dass die Entwicklung einfach an ihnen vorbeigeht.

Dasselbe gilt für den harten Kern der türkischen Nationalisten. Ilnur Cevik, Chefredakteur der Daily News, ist überzeugt, dass die Hardliner im Militär Abdullah Öcalan und die PKK als letzte Möglichkeit sehen, um den Reformkurs der Regierung von Tayyip Erdogan doch noch zu stoppen, bevor die EU Ende des Jahres über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei entscheidet. Deshalb, so glaubt er, hätten sie die PKK zu neuen Kämpfen provoziert.

Leyla Zana ist damit jetzt eine Schlüsselrolle um Krieg und Frieden in den kurdischen Gebieten der Türkei zugefallen. In Ankara hat sie sich in Ankara mit Außenminister Abdullah Gül, dem zweiten Mann der regierenden AKP, und mit Oppositionsführer Deniz Baykal getroffen. Sie ist damit vom politischen Establishment des Landes als Sprecherin der Kurden akzeptiert worden. Sie wird in dieser Woche eine Rundreise durch die kurdischen Gebiete machen. Am Ende wird man sehen, ob ihre Botschaft von Frieden und Demokratie Erfolg hat.