Die verschenkte rot-rote Option

Für die Wahlniederlage der SPD in Thüringen gibt es auch hausgemachte Gründe. Spitzenkandidat Matschie habe sich zuscharf von der PDS abgegrenzt und mehr auf große Koalition geschielt als auf den Wechsel, sagen SPD-interne Gegenspieler

AUS ERFURT MICHAEL BARTSCH
UND DANIEL SCHULZ

Die Opulenz der Thüringer Wahlpartys am Sonntagabend entsprach in etwa dem Stimmenanteil. Unter Flutlichtscheinwerfern und mit Frohsinnsband umlärmten hunderte CDU-Anhänger in der traditionellen Hopfenberg-Gaststätte ihren Strahlemann Dieter Althaus. Der erklärte sich trotz eines Stimmenrückganges von acht Prozent zum Wahlsieger.

Dass er die absolute Mehrheit der Landtagssitze nur dem knappen Scheitern der „Kleinen“ an der 5-Prozent-Hürde verdankt, spielte keine Rolle. Althaus sieht seine Amtsführung bestätigt, seit er vor fast einem Jahr die Nachfolge Bernhard Vogels antrat. Sein umstrittener Innenminister Andreas Trautvetter murmelte gar etwas von einer klaren Linie der Union – wobei die gerade in Thüringen noch mehr vermisst wurde als anderswo.

Der alte und wahrscheinliche neue Ministerpräsident kündigte die Erfüllung aller Wahlversprechen an. Das heißeste dürfte eine Neuregelung der Kommunalabgaben sein. Althaus hatte im Wahlkampfendspurt die Wasser-/Abwasserabgaben vorläufig ausgesetzt – offen blieb, wie eine künftige Landesregierung das bezahlen sollte.

An Selbstbewusstsein wurde Althaus am Wahlabend nur noch von PDS-Frontmann Bodo Ramelow übertroffen, der die Siegerrolle wiederum für sich beanspruchte. Fünf Direktmandate konnte die PDS der CDU abnehmen, darunter zwei in der Landeshauptstadt Erfurt.

Das Freibier, das die SPD in einer Glaspassage der Innenstadt fließen ließ, diente eher als Trostmedizin. Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet, aber nicht mit einem 14-Prozent-Ergebnis. Dafür gibt es nach Auffassung vieler Genossen neben dem Bundestrend aber auch hausgemachte Ursachen. Spitzenkandidat Christoph Matschie wich allen wichtigen Fragen aus, beispielsweise der nach seinem Wechsel aus dem Bundestag und dem Bundesbildungsministerium an die Spitze der Thüringer Landtagsfraktion.

Aus gutem Grund, denn der Unterstützung seiner Thüringer Genossen kann er sich jetzt nicht mehr sicher sein. Matschies Gegenspieler Richard Dewes, während der großen Koalition von 1994 bis 99 Innenminister in Thüringen, hält Matschies scharfe Abgrenzung von der PDS für den entscheidenden Fehler. „Ein rot-rotes Projekt wäre in der Landespartei mehrheitsfähig.“ Man hätte klar auf den Wechsel setzen müssen, anstatt auf eine große Koalition zu schielen.

Thüringens DGB-Vorsitzender Frank Spieth, der die SPD inzwischen verlassen hat, vermisst diese Aufarbeitung der früheren großen Koalition. Sie sei in dem Irrtum begonnen worden, wie einst Willy Brandt über eine solche Allianz zur eigenen Regierungsmehrheit zu gelangen. Nach dem Scheitern habe die Partei nie zu einer eigenen klaren Linie gefunden. Dewes war 1999 wegen seiner Offenheit für die PDS zum Sündenbock für die Wahlniederlage gestempelt worden. Nun erlebte Matschie mit der gegenteiligen Strategie ein noch größeres Debakel.

Als bei der grünen Wahlparty im „Presseklub“ die Hochrechnungen nicht mehr über 4,5 Prozent klettern wollten, wurden Rufe nach „Fußball“ laut. Spitzenkandidatin Astrid Rothe hatte sich auf eine kernige Opposition gefreut und wirkte zerknirscht. Allenthalben war Frust darüber spürbar, dass schwarz-grüne Planspiele, von außen aufgezwungen, dem Wahlergebnis eher geschadet hätten.

Für die CDU, die jetzt straff auf Alleinregierung setzte, galt das offenbar weniger. Als das Team Althaus aus dem heimatlichen Eichsfeld, wo Althaus 80 Prozent holte, gestern im Landtag das Eichsfeld-Lied anstimmte, klang es dennoch ungewollt wie ein Menetekel: „Schlägt meine letzte Stunde, sei es auf Eichsfelds Grunde“, heißt es am Schluss.