Sex soll auf den Tisch kommen

Gewerkschaft Ver.di und die Frauenrechtsorganisation Amnesty for women fordern Runden Tisch in Sachen Sexarbeit: In Hamburg habe sich seit Einführung des Prostitutionsgesetzes nichts geändert

Im Jahr 2002 hat die rot-grüne Bundesregierung per Gesetz die Prostitution legalisiert. Seitdem können Frauen und Männer, die gewerbsmäßig dem horizontalen Gewerbe nachgehen, sich sozial-, arbeitslosen- und krankenversichern lassen. Gleichzeitig sind die Strafgesetze verändert worden: Sex-Arbeit in einem angemessenen Umfeld ist nun nicht mehr strafbar – und über sexuelle Dienstleistungen getroffene Vereinbarungen (etwa zur Bezahlung) können eingeklagt werden.  KVA

VON KAI VON APPEN

Ein Schritt zurück ins vergangene Jahrtausend: So sieht Tanja Gordes (Name geändert) das derzeitige, nicht zuletzt in den Medien sich abspielende Gepolter um „Mega-Puffs“ und Sperrgebiete. „Es geht total an den Bedürfnissen der Frauen vorbei“, sagt sie, „die in diesem Bereich arbeiten müssen.“ Tanja finanziert sich mit Sexarbeit das Studium. Ihre Verabredungen trifft die werdenden Betriebswirtschaftlerin meist per Handy oder über das Internet – oft an Wochenenden. Für die 24-Jährige wäre ein neues Großbordell eine echte Alternative: „Ich müsste nicht mehr auf der Straße Stehen oder mich auf heikle Internettreffs einlassen.“

„Solch ein Etablissement oder Bordell bietet Schutz“, sagt auch Emilija Mitrovic vom Projektbüro Prostitution der Gewerkschaft Ver.di. Das Bordell-Gezerre der Bezirke Wandsbek und Mitte bewertet sie als Sex-Posse. Und die Forderung des Bezirksamtsleiters Mitte, Markus Schreiber (SPD), ganz Hamburg zum Sperrgebiet für Sexarbeiterinnen zu erklären, nennen Mitrovic wie auch Veronica Munk von Amnesty for women schlicht „lächerlich“. „Sperrgebietsverordnungen haben noch nie dazu geführt, die Prostitution einzudämmen“, so Mitrovic, „sondern dienen dazu, Frauen abzudrängen oder mit Bußgeldern zu belegen.“

Stattdessen fordern Mitrovic und Munk einen Runden Tisch zur Prostitution. „Ein Tisch, der Sachkompetenz zusammengefasst, ist dringend notwendig,“ sagt Munk in Richtung des verantwortlichen Gesundheitssenators Dietrich Wersich (CDU). Laut schwarz-grünem Koalitionsvertrag sollen an diesem Runden Tisch Behörden, Bezirksgremien und Beratungsstellen zusammentreffen. „Seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes 2002 hat sich aber nichts geändert“, beklagt Mitrovic. Während Bordellbetriebe etwa in Dortmund seitens der Behörden erfasst würden, sei in Hamburg nichts geschehen, um für mehr Transparenz in der Szenerie zu sorgen. „Je offener mit dem Thema Sexarbeit umgegangen wird“, untertreicht Mitrovic, „desto größer wären die Chancen, rechtliche und soziale Standards für die Frauen durchzusetzen.“

Dabei seien die Rahmenbedingungen die gleichen wie im Jahr 2002: Rund 1,2 Millionen Männer bundesweit nehmen pro Nacht sexuelle Dienstleistungen in Anspruch. In Hamburg arbeiten nach Polizeiangaben mindestens 2.500 Frauen im Sexgewerbe; Beratungsstellen gehen sogar von 5.000 Prostituierten in der Stadt aus.

Mitrovic plädiert im Konfliktfall für einen Anwohner-Dialog: Wenn in Erdgeschosswohnungen sozusagen hinter dem Kinderzimmer-Fenster der potenzielle Freier gekobert werde, sei das sicherlich ein Problem, sagt sie. In der Regel sorgten aber die Kunden selbst für Beschwerden, sagt die Wissenschaftlerin aus St. Georg. „Ich mag auch keine grölenden Männer, aber deswegen werden nicht alle Kneipen geschlossen.“

Auch die regierenden Grünen sind sich beim Thema Sexarbeit uneins. Während die frauenpolitische Sprecherin Nehabat Güclü die Aufhebung aller Sperrbezirke fordert, hat sich die GAL im Bezirk Mitte gegen die Ansiedelung weiterer Sexbetriebe ausgesprochen. „Kriminalisierung von Prostitution durch Sperrgebietsverordnungen ist kontraproduktiv“, kontert wiederum die grüne Innenpolitikerin Antje Möller. „Bezirklich mag man das ja befürworten“, sagt Möller, „aus innenpolitischer Sicht ist das aber falsch.“

Auch die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Kersten Artus, hält Sperrgebiete für „völligen Quark“ und nennt Bezirksamtsleiter Schreibers Forderung Populismus: „Hamburg braucht Bordelle. Sexarbeit zu tabuisieren wäre eine unglaubliche Doppelmoral.“