„Wir bauen nicht wild drauflos“

Interview von HANNA GERSMANN
und KATHARINA KOUFEN

taz: Herr Stolpe, wie sollen wir Sie nennen, Herr Verkehrsminister Stolpe oder Herr Ostminister Stolpe?

Manfred Stolpe: Sie könnten auch noch Bauminister oder Wohnungsminister sagen, damit das Ganze noch ein bisschen blumiger wird …

aber wofür schlägt Ihr Herz?

Das Herz schlägt da, wo man den Leuten in die Augen geguckt hat. Das ist nicht nur in Brandenburg der Fall. Gott sei Dank ist der Westen für mich auch kein fremdes Land.

Wann hatten Sie das erste Mal mit Verkehrspolitik zu tun?

Meine Erfahrung von zwölf Jahren als brandenburgischer Ministerpräsident hat mich gelehrt, wie wichtig Infrastruktur ist.

Sie verfügen mit 26 Milliarden Euro über den größten Regierungsetat. Manche halten das für gefährlich. Mit Brandenburger Großprojekten wie Cargolifter oder Lausitzring haben Sie sich nicht den besten Namen gemacht.

Es gibt wunderbare Geschichten, die wir geschafft haben: Die gesamte Stahlindustrie ist gerettet, der Chemiestandort Schwedt, um nur zwei Beispiele zu nennen. Bei der Rennstrecke Lausitzring schließe ich ne Wette ab, dass die auf die Beine kommt.

Vor kurzem haben Sie womöglich ein neues Milliardengrab vorgeschlagen: den Transrapid Berlin–Leipzig.

Das ist kein Vorschlag von mir, ich habe nur gesagt, man kann über alles diskutieren. Sachsen will ihn, weil der Flughafen Leipzpig groß ausgelegt ist, aber noch Passagiere braucht. Es wird hier aber der gleiche Maßstab angelegt wie bei anderen Transrapidprojekten auch. Sie müssen wirtschaftlich betrieben werden können.

Der Osten erwartet, dass Sie Geld zum Beispiel für Umgehungsstraßen locker machen. Gleichzeitig sind Sie per Koalitionsvertrag einer ökologischen Verkehrspolitik verpflichtet. Ein Dilemma?

Wir bauen nicht einfach wild drauflos, und den Bundesverkehrswegeplan haben wir in enger Absprache mit Umweltminister Jürgen Trittin von den Grünen gestaltet.

Dazu passt nicht, dass Sie den Ausbau des Saale-Elbe-Kanals ankündigen, den Umweltschützer für Quatsch halten.

In Halle setzt man auf die Binnenschifffahrt wegen der Chemiefabriken. Wir werden aber die Hochwassergefahr checken, die Auswirkungen auf die Elbe, das Nutzen-Kosten-Verhältnis und natürlich die Umweltauswirkungen, bevor die Bagger bestellt werden.

Wie viele Schiffe erwarten Sie?

Die Hallenser rechnen mit einigen dutzend am Tag – die Kritiker mit einem. Wir rechnen das realistisch durch.

Bei der Vorstellung des Bundesverkehrswegeplans sagten Sie, der „Ostbonus“ müsse wegfallen. Wie meinten Sie das?

Wir müssen uns abgewöhnen, platt von Ost und West zu reden. Ich kann mich nicht nur für die Lausitz einsetzen, ich muss auch an die Oberpfalz oder das Emsland denken, alles benachteiligte Regionen. Und wir haben auch im Osten Wachstumsregionen, etwa den Berliner Raum, Leipzig und Dresden. Deshalb müssen wir konkret sagen, was wir brauchen.

Was?

Wir müssen Wachstumsregionen in Ost und West vom Stau freihalten. Da brauchen wir neue Verkehrswege.

Autobahnen?

Ja. Aber auch schnellere Bahnverbindungen.

Seit der Wiedervereinigung floss fast eine Billion Euro in den Osten …

… mit hohem Anteil von vermeidbaren Soziallasten. Der Sturzflug in ein völlig anderes Wirtschaftssystem hat en masse Arbeitslosigkeit produziert.

Was muss man jetzt mit den Geldern aus dem Solidarpakt zwei anders machen?

Weil wir im Osten eine starke Deindustrialisierung hatten, müssen wir neue Industrieansiedlungen fördern. Dafür braucht es die Investitionszulage: Der Staat schießt dem Investor ein Viertel der Kosten zu.

Finanzminister Eichel will Subventionen gerade abbauen.

Aber nicht die Investitionszulage. Die gilt jetzt bis Ende 2004, und ich möchte gern, dass sie zwei Jahre verlängert wird.

Wie steht es um die Pendlerpauschale?

Ich bin gegen die vollständige Abschaffung, weil sie dafür sorgt, dass einige ein Stückchen Fahrt zum Arbeitsplatz in Kauf nehmen, anstatt arbeitslos zu Hause zu sitzen. Ich halte es aber für vertretbar, das man unter 20 Kilometern darauf verzichtet.

Und die Eigenheimzulage?

Wir versündigen uns, wenn wir die Städte verkommen lassen. Alle gehen auf die grüne Wiese. Und dann soll noch einer kommen und in der Stadt einen Industriebetrieb ansiedeln? Der sagt doch, die Stadt ist völlig kaputt. Deshalb wollen wir die Eigenheimzulage in eine Wohneigentumzulage umwandeln, kombiniert mit der Stadtsanierung. Staatliche Förderung gibt es für die, die im Innenstadtbereich Wohneigentum schaffen und erhalten. Das kann ein Neubau in einer Baulücke aber auch die Sanierung eines Altbaus sein.

Soll sie für jeden gelten?

Ja, Kinder sind keine Bedingung, außerdem soll sie für Neubau und Altbau gleichermaßen gelten.

Statt Ausgaben zu kürzen, kann die Regierung Einnahmen erhöhen – zum Beispiel mit einer höheren Ökosteuer. Das wollen Sie nicht. Warum?

Das Projekt ist leider verunglückt – ein Vermittlungsproblem. Die Ökosteuer zu einem Negativbegriff geworden, trotz der positiven Wirkungen.

Die Ökosteuer führt dazu, dass der Spritverbrauch abnimmt. Das ist nötig, der Lkw-Verkehr wird bis 2015 um 60 Prozent zunehmen. Wie wollen Sie mehr Güter auf die Schiene bringen?

Die Schiene muss schneller und zuverlässiger werden, von Haus zu Haus transportieren. Das macht die Bahn ja jetzt über DB Cargo, indem sie mit Stinnes ein Speditionsunternehmen übernommen hat. Und da ist noch mehr zu machen. Der Güterverkehr ist auf der Schiene um 9 Prozent gewachsen. Ich bin auch ganz sicher, viele Unternehmen werden umdenken, wenn wir die Lkw-Maut haben.

Dazu müssten die Brummis doch noch stärker zur Kasse gebeten werden.

Wir wollen uns auf 15 Cent zubewegen und starten jetzt bei 12,4 Cent. Bei der Höhe der Maut haben wir uns an der einschlägigen EU-Richtlinie zu orientieren. Sie kann nicht einfach nach Wunsch festgelegt werden, sondern muss wissenschaftlich fundiert auf den verursachten Wegekosten basieren.

Wenn man die Signale aus Brüssel richtig versteht, ist EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio auf keinen Fall mit den 15 Cent einverstanden und die Spediteure gehen ja jetzt schon auf die Barrikaden …

Diese Diskussion ist beendet. Die Spediteure haben jetzt nur die Sorge, dass nicht rechtzeitig bis zum 31. August die nötige Zahl dieser Boardcomputer zur Verfügung steht.

Ist die Sorge begründet?

Die Sorge habe ich selbst. Aber: Die Fahrer werden neben den automatischen Geräten auch das Internet nutzen können oder das Handy. Zudem werden wir an Tankstellen und Grenzübergängen 3.500 Automaten aufstellen. Das Industrie hat uns zugesagt, dass es funktionieren wird.

Wo liegt dann das Problem?

Brüssel ist von dem Ganzen nicht begeistert, weil die Kommissarin von all unseren Nachbarn traurige Briefe bekommt. Es ist halt nicht schön, dass in dem zentralen Transitland jetzt eine Maut erhoben wird …

und die deutschen Spediteure über Steuererleichterungen entlastet werden …

… das ist nicht Bestandteil der Verordnung. Wir werben allerdings im Sinne fairer Wettbewerbsbedingungen für ein Anrechnungsverfahren.

Eine Möglichkeit, den Straßenverkehr zu reduzieren, ist eine gute Bahn. Zurzeit laufen der Bahn aber die Kunden weg.

Die Bahn hat sich mit ihrem neuen Preissystem geirrt: Die Millionenschar von Bahnkunden sind eben nicht Businessclass-Flieger, sondern sie haben bestimmte Erwartungen an eine überschaubare, lieb gewonnene Bahn. Daraus hat die Bahn gelernt, dass man stärker auf die Kundschaft achten muss.

Wie verstehen Sie sich mit Bahnchef Mehdorn?

Ich halte Herrn Mehdorn für einen sehr robusten, aber auch sehr zuverlässigen Manager. So habe ich ihn schon vor zehn Jahren als Vorstandsvorsitzenden bei der Heidelberger Druck kenngelernt.

Ihr Vorgänger, Herr Bodewig, wollte den Schienenbereich von der Deutschen Bahn loslösen, wurde aber von Mehdorn und Kanzler Schröder zurückgepfiffen. Hat Mehdorn die Regierung im Griff?

Ich habe nicht das Gefühl, dass mich einer im Griff hat.

Warum mischt sich die Regierung als Alleinbesitzerin der Bahn nicht stärker ein, wenn Herr Mehdorn absehbare Fehler macht wie bei der Bahnpreisreform?

Sie können ja nur zwei Wege gehen: VEB, also volkseigener Betrieb, oder Privatisierung. Wir haben uns für die Privatisierung entschieden, und dann kann und soll man der Bahn nicht dauernd hineinquatschen.

Wenn Herr Mehdorn Verluste einfährt, hält er letztlich wieder beim Bund die Hand auf.

Nein, wenn Herr Mehdorn Umsatzprobleme bekommt, dann hat er mit seinem Aufsichtsrat Scherereien, aber er kann die Rechnung nicht an uns schicken. Nach dem Privatisierungsgesetz müssen wir nur für die Infrastruktur sorgen.

Soll die Bahn 2005 wirklich wie geplant an die Börse?

Wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind, dann ist das zu schaffen: Sie muss in den schwarzen Zahlen sein. Und die Lage auf den Aktienmärkten muss so sein, dass man das Unternehmen nicht verschleudert.

Herr Stolpe – haben Sie sich für Ihre Amtszeit ein Herzensprojekt vorgenommen?

Ich würde gern im Osten Bedingungen schaffen, dass junge Leute sagen: Es lohnt sich, hier zu bleiben.