Die Union und der schwarze Peter

Wie viel Schulden darf der Staat machen? Darauf hat auch Angela Merkel keine Antwort

BERLIN taz ■ Angela Merkel hat bekommen, was sie verlangt hat. Die „Arbeitsteilung zwischen Regierung und Opposition“ müsse eingehalten werden, darauf hatte die CDU-Vorsitzende in den letzten Wochen immer wieder gepocht. Erst wenn Rot-Grün einen Vorschlag zur Gegenfinanzierung der Steuerreform mache, werde die Union reagieren. Nun sind sie da, die „Eckpunkte“ des Bundesfinanzministers – doch Merkel schimpft weiter. „Absolut enttäuschend“ seien die Vorschläge, sagte Merkel gestern und befand: „Die Bundesregierung muss nachsitzen.“ Aber auch für die CDU-Chefin selbst wird es jetzt erst schwierig.

Der innerparteiliche Streit in der Union um Steuern und Schulden lässt sich nicht mehr durch ein Schweigegelübde überdecken, das ohnehin nur mühsam eingehalten wurde. Ein Vorschlag ist da, jetzt darf geredet werden. Die geplante Neuverschuldung ist zu hoch, darin sind sich alle in der Union einig. Aber wie viel Schulden dürfen es denn sein? Wann ist der Punkt erreicht, an dem man zustimmen kann? Die Diskussion darüber ist eröffnet – und Merkels Konkurrenten scharren schon mit den Hufen. Während die CDU-Bundespolitiker in Berlin den ganzen Tag ausrichten ließen, man lasse Merkel „natürlich erst einmal den Vortritt“, ließ es sich Hessens Ministerpräsident Roland Koch nicht nehmen, zeitgleich mit der Parteichefin vor die Kameras zu treten. Auch Edmund Stoiber meldete sich sofort zu Wort. Was sie sagten, unterschied sich zwar (noch) nicht fundamental von Merkels Kritik an Eichels Plänen. „Eine Provokation“ sei das mit der Neuverschuldung, schimpfte Koch. „Ungenügend!“, schnaubte Stoiber. Kein Dissens mit Merkel. Vorerst. Aber das Gedränge vor den Mikrofonen gibt einen Vorgeschmack von dem, was kommt. Der Kampf um ein paar Minuten mag albern scheinen, doch es geht um mehr: um die Deutungshoheit. Um die Dominanz in der Debatte – über den gestrigen Tag hinaus. Keiner gönnt dem andern einen Vorsprung, und sei er noch so klitzeklein.

Schneller als erwartet hat Rot-Grün vorgelegt, und zwar so, wie es der Union – und speziell Merkel – das Leben schwer macht. Die Vorschläge sind zu konkret, um einfach weiterschweigen zu können. Aber auch zu vage, um schnell zu einer einheitlichen Linie der Union zu finden. Schließlich handelt es sich bei dem, was Eichel und Schröder gestern präsentierten, nicht um einen endgültigen Gesetztestext, zu dem man einfach Ja oder Nein sagen muss, sondern um eine Ankündigung von mehreren Maßnahmen, über die man natürlich noch mal reden könne, wie Schröder scheinbar freundlich anbot. Im Wissen, dass die Union eine solch hohe Neuverschuldung, wie sie gestern vorgestellt wurde, nicht akzeptieren kann, schob er der Opposition erneut den schwarzen Peter zu. Man sei jederzeit gesprächsbereit, betonte Schröder. Wenn ihr weniger Schulden wollt, so des Kanzlers Angebot, müsst ihr sagen, wie wir das Vorziehen der Steuerreform anders finanzieren sollen.

In diese Falle will sich Merkel jedoch nicht locken lassen. Deshalb spielte sie den Ball zurück – und verlangte erst einmal „eine anständige Kabinettsvorlage“ von Schröder. Was gestern präsentiert worden sei, verdiene den Namen„Finanzierungskonzept“ nicht, so Merkel. Gefragt seien „Zahlen, Daten, Fakten“.

Was fehlt, ist allerdings auch ein strategisches Konzept der Union. Dabei geht es nicht um Details, sondern um die generelle Richtung. Blockade oder Kooperation? Merkel gab gestern noch mal die Richtung vor, indem sie das grundsätzliche Ja der Union zum Vorziehen der Steuerreform betonte. „Man kann es nicht oft genug wiederholen“, bemerkte sie – und hat Recht. Denn insbesondere Koch werden mit Sicherheit noch viele Argumente einfallen, die zu einem Nein führen. Wenn es dann wieder zum Streit kommt, dürfte es ihn wenig stören. Streit wird zuerst der Chefin angelastet.

LUKAS WALLRAFF