Schönheit lindert den Schmerz

Tätowierer und Tätowierte haben gemeinhin kein großes Ansehen. Sie selbst empfinden ihre Kunst als Ausdruck von Lebensfreude. Die Deutzer Essigfabrik war Schauplatz der Kölner Tattoo Convention

Von Sandra Erbacher

Das Summen der Nadeln, das einen beim Betreten der Halle sogleich an Zahnarzt erinnert, ist von dumpfen Technobeats begleitet. Die Luft ist von Zigarettenrauch und Desinfektionsmittel geschwängert. Zwei Tage lang ist an diesem Wochenende die Deutzer Essigfabrik Schauplatz der Kölner Tattoo Convention, 18 Tätowierer aus Deutschland, Argentinien und Weißrussland präsentieren in ihren „Studios“ ihr Handwerk. Wem der „Mut“ fehlt, sich unter die Nadel zu legen, den erwartet ein buntes Programm: Motorradausstellung, House Musik, Klamottenstände, Schmuck, und – für die Kleinen – eine Hüpfburg und ein Clown.

Höhepunkt der Veranstaltung ist der Tattoo Contest: Eine professionelle Jury aus Tätowierern bewertet die Körperkunst der Gäste. „Es gibt verschiedene Kategorien“, erklärt Moderator Dirty Detter. „Schwarz-Weiß, Farbig, Freihand, Groß oder Klein, Asiatisch, Fantasy, Cover-up (die Überdeckung einer Jugendsünde), Porträt, Realistic oder Tribal (abstrakte, meist geometrische Formen, die ihren Ursprung in der Symbolik verschiedener Kulturen haben).“ Kriterien für die Jury sind laut Detter Linienführung, Farbgebung und der ästhetische Gesamteindruck, also ob das Motiv zur gewählten Körperstelle passt. Nachdem Juroren und Publikum die 26 Kandidaten kritisch beäugt haben, zieht sich die Jury zur Beratung zurück.

Überraschend ist die Ausdruckslosigkeit in den Gesichtern der Leute, die sich tätowieren lassen. Beim genaueren Hinsehen jedoch fallen die glasigen Augen auf, die an einen Trancezustand erinnern. Eine junge Frau, die sich gerade ein Tribal auf den Bauch stechen lässt, versucht ein tapferes Lächeln und deutet auf eine Whiskyflasche, die der Tätowierer auf dem Regal stehen hat.

Willy von Lucky Tattoo, ein Mittfünfziger, der sich mit 12 Jahren zum ersten Mal selbst tätowiert hat, findet, Schmerz gehöre dazu. Für ihn sind Tattoos vor allem aber ein Ausdruck von Innerlichkeit und Lebensfreude. Für Die Sascha von Land of Pain, die seit fast neun Jahren professionell tätowiert, ist das Tätowieren vor allem eine „Kunstform“. Ihre Leidenschaft sei das Zeichnen, „zum Tätowieren haben mich Freunde überredet“, erzählt sie. „Wenn man einmal damit angefangen hat, kann man nie wieder aufhören. Es schließt sich eine Tür hinter dir, die du nie wieder aufmachen kannst.“

Die Sascha bedauert die ihrer Meinung nach durchweg negative Berichterstattung in den Medien, die „uns Tätowierte immer wieder als Freaks oder Kaputte darstellt“. Dabei seien die meisten ihrer Kunden „ganz normal“: Hausfrauen, Mütter, ja sogar ein Staatsanwalt und ein 82-jähriger Mann seien unter ihnen. Ihr sei es wichtig, sich viel Zeit für ihre Kunden zu nehmen, um die Menschen kennen zu lernen, ihre Charaktereigenschaften und Wünsche. Daraufhin zeichne sie jedes Tattoo individuell. „Ich steche niemanden, wenn ich das Gefühl habe, er ist sich nicht ganz sicher, oder das gewählte Motiv ist unpassend.“

Und wie geht sie mit den Schmerzen um? „Ich selbst habe fürchterliche Angst vor den Schmerzen, aber wenn ich es durchgestanden habe, bin ich stolz auf mich. Und allein für diesen Kick würde ich es jederzeit wieder tun.“ Für die Angst ihrer Kunden habe sie deshalb Verständnis. „Ich verhätschele sie regelrecht, unterhalte sie und versuche sie abzulenken.“

Die Sascha meint, es sei nicht ganz einfach, als eine der wenigen weiblichen Tätowierer in der Branche zu arbeiten. Ein Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. „Die Jungs haben ihre eigenen Groupies, wir Mädels leider nicht.“

Mit der Bekanntgabe des Gewinners des Wettbewerbs ist das Pflichtprogramm abgeschlossen, die Party kann beginnen. Den Pokal erhält Andreas vom Riverside Tattoostudio in Köln für das Tätowieren eines Pinup-Cartoons, das ein junger Kölner auf seiner Wade trägt.