lost in lusitanien
: Kreuzwege zur Völkerverständigung

MATTI LIESKE über einen Hund, eine Katze und den durchschnittlichen Wortschatz eines deutschen Fußballfans

Der Hund Rico, das hat das Max-Planck-Institut in Leipzig herausgefunden, beherrscht mehr als 200 Wörter. Damit liegt der Border Collie pisamäßig ganz oben in Deutschland. Unser Kater, das habe ich herausgefunden, kennt so viele Worte für Katzenfutter wie die Eskimos für Schnee. Er macht allerdings selten davon Gebrauch, um die Menschen nicht zu beschämen. Der durchschnittliche deutsche Fußballnationalmannschaftsfan kennt 14 Wörter: Deutschland, Sieg, Rudi und die Namen der 11 Spieler, die gerade auf dem Platz stehen. Beim Mitsingen der Hymne, das stellte sich im Estádio do Dragão von Porto heraus, hat er große Schwierigkeiten, wenn der Text nicht, wie bei Heimspielen üblich, auf der Anzeigentafel eingeblendet wird. Das wäre eigentlich ein gutes Zeichen, müsste man nicht mutmaßen, dass die erste Strophe noch ziemlich flüssig von den Lippen fließen würde. Andererseits hat sich herumgesprochen, dass sich deren Absingen nicht gehört – auch ein Fortschritt.

Überhaupt ist es ja so, dass Reisen enorm bildet, und das ist auch bei dieser Europameisterschaft in Portugal unverkennbar. Waren die Wahlen am Sonntag europäische Theorie, so ist das Turnier europäische Praxis. Die Wege, welche die Anhänger der jeweiligen Mannschaften zurücklegen müssen, sind vielfältig, und häufig kreuzen sie sich. So kommt es, dass die Fußballfans plötzlich mit Leuten ins Gespräch kommen, bei denen sie sonst eigentlich nur daran interessiert sind, ihnen eins auf die Mütze zu geben, und feststellen: Die sind ja gar nicht so übel und fast wie wir, nur dass sie natürlich der verkehrten Mannschaft huldigen. Wobei, um das für satireresistente Gemüter klarzustellen, hier keinesfalls der Generalverdacht geäußert werden soll, dass alle, die ein Fußballteam verehren und es bei seinen Spielen anfeuern, tumbe, krawallfreudige Banausen sind. Feststellen lässt sich jedoch, dass die Atmosphäre bei der Europameisterschaft wesentlich entspannter und viel weniger feindselig ist als bei Spielen in Deutschland, zuweilen nachgerade freundlich. Das liegt zum einen daran, dass das Bild zu Hause oft von Fangruppierungen einzelner Bundesligaklubs bestimmt wird, die viel schärfer auf Abgrenzung und Rivalität bedacht sind als die Familienverbände und Freundeskreise, die zu großen Turnieren fahren, zum andern eben an den Kreuzwegen.

Der Zug von Lissabon nach Porto etwa ist eine äußerst polyglotte Angelegenheit. Natürlich Deutsche und Holländer, die zu ihrem Spiel fahren, aber auch Dänen, die nach Braga wollen und sich mental auf das Match am Freitag gegen Bulgarien vorbereiten, sowie Schweden, deren Mannschaft in Porto auf Italien trifft. Vor allem am Bierstand, dem gemeinsamen Altar aller Fußballfreunde, kommt man sich näher, gestärkt wird das Gemeinsamkeitsgefühl noch dadurch, dass der Zug mit zwei Stunden Verspätung losfährt. Zu viel übrigens für die Nerven einiger holländischer Fans, die es angesichts der zunächst ungewissen Lage vorziehen, für 260 Euro mit dem Taxi von Lissabon nach Porto zu fahren. „Das ist das Spiel aller Spiele, darauf haben wir uns ein halbes Jahr lang gefreut“, begründen sie diese Investition in eine gesicherte Zukunft.

Deutsch-holländische Runden bilden sich auch nach dem Spiel im Café Bom Dia an der Praça Sa Carneiro in der Nähe des Stadions. „War ja ein tolles Tor von eurem Van Basten“, sagt ein Fan mit schwarz-rot-goldenen Haaren, der offenkundig noch etwas älteren Strukturen verhaftet ist. „Eures war auch nicht schlecht“, erwidert höflich ein orange bemützter Holländer und nickt eifrig bei der Entgegnung: „Das muss sich aber eurer Keeper ankreiden lassen.“ Einigkeit herrscht darüber, dass Hollands Trainer Dick Advocaat eine ziemlich bescheuerte Anfangsformation gewählt hat, und schon ist eine muntere Debatte über taktische Fragen im Gange. Stühle werden herangerückt, Krüge mit Bier beschafft, und als Höhepunkt der Verbrüderungsfeierlichkeiten lässt sich einer der Niederländer mit umgehängter Deutschlandflagge fotografieren, die sehr hübsch mit seiner in grellem Orange gehaltenen Narrenkappe harmoniert.

Im voll besetzten Nachtzug nach Lissabon sind dann auch Engländer, die fröhlich ihre Lieblingslieder trällern: „There were ten german bombers in the sky, but the British army, yeah, but the British army, yeah, but the British army, yeah, shot one down.“ Der durchschnittliche englische Fußballfan, das ließ sich in den letzten Tagen in Lissabon recherchieren, kennt übrigens noch zwei Worte mehr als der deutsche. Sie lauten: „Fuck you.“