Neuer Sampler deutscher Zunge
: Mit „Aufnahmezustand“ hat der Schlager doch wieder seine Hitparade

„Aufnahmezustand. Neue deutsche Vielfalt“ ZYX-Music

Neues für die Häppchenjäger. Bei dem Sampler mit dem gruselig wortspielenden Titel „Aufnahmezustand“ wird „neue deutsche Vielfalt“ versprochen. Gedankliche Fortsetzung zur Neuen deutschen Welle erwünscht, und mit dem „Kreisel“ von Mia ist der frische Aufguss programmatisch an den Beginn gestellt (wobei man sich bei den Kompilatoren jetzt wohl ins Knie beißt, weil von Mia eigentlich schon niemand mehr spricht, während die gerade viel beredeten Wir Sind Helden auf dem Sampler fehlen). Ach, kleine Taschenlampe brenn … ganz sentimental möchte man werden bei der Neuaufrichtung des Partykellers, bis einen die Wirklichkeit kalt erwischt. Sie trägt die Namen Westbam und Nena, die ihr gemeinschaftliches „Oldschool, Baby“ untergebracht haben: „Wir sind die Zukunft der Vergangenheit, wir sind der Augenblick, der immer bleibt“, singt es einem entgegen. Was einen gleich ernüchtert. So sieht das also aus. Die Sackgasse im Kreisverkehr. Keine Flucht möglich.

Die nackten Fakten: „Aufnahmezustand“ sammelt 40 Lieder. Gesamtspieldauer 153 Minuten plus 36 Sekunden. Die zweite CD ist besser (sagt mir wenigstens mein innerer Rockschweinehund). Kleinstmöglicher gemeinsamer Nenner: der deutsche Zungenschlag. Aus Sorgfaltspflicht verkniff ich mir selbst bei größerem Leiden die Skip-Taste, was immerhin mit dem Erkenntnisgewinn belohnt wurde, dass beim Deutschpop gewohntermaßen weiter eine Masse im Argen liegt (man höre sich mal diese Dumm-Kraftwerke Die Raketen oder Konsorten an). Langzeitversuche schärfen das Ohr: Wie plätschernd langweilig sich zum Beispiel so eine 2raumwohnung („Ich weiß warum“) hier anhört, nach dem Tütensuppenrezept Schunkel & Stampf.

Funktioniert aber auch anders rum. Eine Band wie Erdmöbel, auf der Longplay-Distanz eher schwächelnd, macht in der Konzentration auf einen Titel richtig Schnitte, auch Mense Reents mit seiner lässigen Verhuschtheit würde ich auf die Habenseite stellen. Die Sterne allein schon wegen dem „Black is Black“-Zitat bei „Nur Flug“. Natürlich Stereo Total. Der schöne Schaumschlägerpop von Virginia Jetzt!, rechtschaffen euphorisierend. Und Rosenstolz. Rechtschaffen herzweh. Schon schön. Und natürlich Schlager. In dieser Schublade können aber fast alle auf dem Sampler versammelten Lieder verstaut werden. Gern ums Poesiealbum schunkelnd und meinetwegen über sich selbst aufgeklärt. Weil aber irony over sein soll, muss man das alles jetzt vielleicht wieder ernst nehmen und kann’s nicht mehr nur als nettes Plätschern nebenbei hören. Dann aber wird’s anstrengend. Und was ist mit der doch wieder propagierten Verweigerungshaltung (symbolisiert im Wir-Sind-Helden-Erfolg)? Bildet tatsächlich der Sampler durch sich selbst ab. Lieblos verpackt, geizt er mit allen Informationen, die erst Sinn und Zusammenhang stiften würden. Er will wahrscheinlich nicht einmal richtig in Masse verkauft werden, denn dafür hätte man doch andere Namen aufs Cover nehmen müssen. Fast könnte man bei so viel an Renitenz wieder Respekt haben. TM