„Die Polen sind für eine Verfassung“, sagt Adam Michnik

Deutsche und Franzosen vertreten in Brüssel selbstverständlich ihre Interessen. Dieses Recht haben alle Nationen

taz: Herr Michnik, das Schlagwort „Nizza oder der Tod“ kennt heute ganz Europa. Warum blockiert Polen die EU-Verfassung?

Adam Michnik: Natürlich ist das Schlagwort „Nizza oder der Tod“ idiotisch. Der Politiker, der es formulierte, wurde dafür aber gleich scharf kritisiert. Allerdings ist die Umkehrung dieses Schlagworts: „Verfassungskonvent oder der Tod“ genauso absurd.“

Wer hat das gesagt?

De facto war das die Haltung der Deutschen und Franzosen. Auf dem Treffen in Brüssel im Dezember vergangenen Jahres wollten weder Kanzler Schröder noch Präsident Chirac über einen Kompromiss reden. „Entweder ihr unterschreibt, oder wir fahren alle wieder nach Hause.“ So war das doch. Wie soll man das klassifizieren? Eben als „Konvent oder der Tod“.

Hat es in der Frage, wie künftig Mehrheiten im Europäischen Rat zustande kommen sollen, nicht durchaus einen Spielraum gegeben?

Man muss den Standpunkt der polnischen Regierung verstehen. Vor dem EU-Referendum hat sie für ein Ja geworben und dabei eine EU vorgestellt, wie sie nach dem Verrag von Nizza aussehen sollte. Wie soll sie nun die plötzliche Änderung erklären? Gegen die Verfassung ist niemand – aber bezüglich der konkreten Frage der Stimmengewichtung im Europäischen Rat lasst uns noch warten.

Wäre es nicht besser, über die Stimmverteilung sofort und endgültig zu entscheiden?

In den nächsten Jahren wird sowieso das Nizza-System gelten. Lasst uns erst dieses System ausprobieren. Dann sehen wir nach drei Jahren, ob es funktioniert. Wenn wir die Rendezvous-Klausel vorschlagen, weil wir das für eine sinnvolle Lösung halten, sagen deutsche Politiker und Kommentatoren, dass wir Polen keinen europäischen Geist haben und die für die EU positive Lösung blockieren. Wenn allerdings Kanzler Schröder die deutschen Interessen in der EU verteidigt, finden sie das völlig in Ordnung. Das ist es ja auch. Das nennt man Sorge um den deutschen Geist. Nur: Auch wir haben das Recht, unsere Interessen zu verteidigen. Man kann hier nicht zweierlei Maß anlegen.

Aber hat das nicht zur Folge, dass Polen heute in der EU völlig allein dasteht?

Ich denke, dass es reelle Chancen für Kompromisse gibt. Machen wir uns doch nichts vor: In der EU werden immer Frankreich und Deutschland den Ton angeben. Dafür braucht man keine Verfassung. Es gibt also keinen Grund, in dieser Art – durch die Verfassung – die hundertprozentige deutsch-französische Dominanz festzuschreiben. Nicht nur faktisch, sondern auch formal. Jedes Land hat das Recht zu sagen, dass der Konventsentwurf nicht in seinem Interesse liegt. Polen hat von diesem Recht Gebrauch gemacht. Ich sehe da kein Problem.

Das sind ja nicht nur Berlin und Paris, gegen die Polen ankämpft. Sind das nicht auch alle anderen Staaten in der EU?

Nein. Die anderen EU-Staaten sehen Polen nicht so.

Spanien steht nicht mehr an der Seite Polens – ist es jetzt nicht völlig isoliert?

Spanien attackiert Polen nicht. Außerdem haben sie sich noch nicht endgültig zurückgezogen. Die Verhandlungen laufen noch. Gut, in Spanien hat die Regierung gewechselt. Das kann natürlich in Polen auch passieren.

Ist Polens Verhalten also Rache für die Beleidigung des französischen Präsidenten Chirac, der den Polen gesagt hat: „Maul halten, beitreten!“?

Ach woher, niemand spricht von Rache. In Polen sind wir der Meinung, dass die Beschlüsse von Nizza im polnischen Interesse liegen. Daher werden wir sie verteidigen. Wir tun dies nicht, weil wir Kanzler Schröder oder Präsident Chirac ärgern oder gar Rache an Chirac üben wollen. Keiner der polnischen Diplomaten folgt einer solchen Logik. Wir müssen Gespräche führen, Argumente austauschen und Kompromisse suchen.

Dadurch, dass Polen auf der Verankerung christlicher Werte in der Europäischen Verfassung pocht, schwört es einen weiteren Konflikt mit Frankreich herauf. Wie könnte hier ein Kompromiss aussehen?

Die französische Gesellschaft erwartet von Chirac, dass er den Laizismus verteidigt. Die Erwartungen der polnischen Gesellschaft an ihre Regierung sind andere: Sie wünscht, dass das Christentum als Bestandteil der europäischen Tradition auch in der Verfassung festgeschrieben wird. Es ist schwierig, mit historischen Handbüchern zu diskutieren. Man muss eben mit Frankreich debattieren – auch in Polen gab es um die Präambel der neuen Verfassung schließlich einen riesigen Konflikt.

Mit wem wollen die Polen in der Europäischen Union künftig zusammenarbeiten?

Deutsche, Franzosen und Polen werden sehr schnell begreifen, dass die Zusammenarbeit im gemeinsamen Interesse liegt – loyal, eng und herzlich. Die polnische Regierung wird eine solche Zusammenarbeit propagieren. Wie weit dann aber Berlin und Paris freundlich auf dieses Angebot aus Warschau eingehen, nun ja, das müssen wir abwarten. Aber ich bin Optimist.

Von außen sieht es eher so aus, als wollten die Polen lieber mit den Engländern oder Spaniern zusammenarbeiten.

Zusammenarbeit besteht eben nicht darin, dass der deutsche Kanzler etwas sagt, die Polen sofort Hab-Acht-Stellung annehmen und rufen „Jawoll, Herr Kanzler!“. Das wird es nicht geben.

INTERVIEW: GABRIELE LESSER