DAS DIW DROHT DIE WIEDERENTDECKUNG KEYNES’ ZU VERPASSEN
: Verengter Blick

Zumindest zweimal im Jahr war Gustav Adolf Horn, der Chefvolkswirt des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), ganz groß im Bild. Aber nicht nur bei der halbjährlichen Präsentation des gemeinsamen Gutachtens der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute, auch sonst haben ihn seine klaren Worte zum beliebten Gesprächspartner der Medien werden lassen. Zumal Horn mit seinen Positionen nicht für den Mainstream der Experten steht. Während für viele seiner Kollegen eine möglichst niedrige Inflationsrate das höchste Gut ist, fordert Horn die Europäische Zentralbank immer wieder zu Zinssenkungen auf, um so die Wirtschaft zu stimulieren.

Darin ist sich Horn nicht nur mit den Gewerkschaften und vielen Linken einig, sondern auch mit seinem Chef, dem DIW-Präsidenten Klaus Zimmermann. Anderer Auffassung waren beide aber zum Beispiel in der Arbeitsmarktpolitik. Während Zimmermann sich für möglichst niedrige Tarifabschlüsse einsetzt, betont Horn den positiven Effekt höherer Löhne, die den Konsum, die Nachfrage und damit auch die Wirtschaft anregen können. Dies auch öffentlich zu sagen, kann seinem Chef nicht gefallen haben. Dass er seinen Posten nun gegen seinen Willen zum Ende des Jahres verlassen muss, könnte ein weiterer Baustein beim Umbau des traditionsreichen Instituts sein, den Zimmermann seit seinem Amtsantritt verfolgt: weg von der nachfrageorientierten Politik, die auf der Theorie J. M. Keynes’ gründet, hin zur Ausrichtung auf die Angebotsseite, also die Unternehmen.

Diese neoklassische Linie gibt seit Jahren den Ton an im Chor der deutschen Wirtschaftsforschung und hat unter anderem in der Agenda 2010 oder den Steuererleichterungen für Unternehmen ihren Niederschlag in der Politik gefunden. Der Erfolg ist bislang mäßig, die Arbeitslosigkeit bleibt weiter hoch. Auf der Suche nach Lösungsansätzen hilft es nicht, den Blick weiter zu verengen. International jedenfalls gewinnt der Keynesianismus wieder an Boden. Das DIW täte bei der Suche nach einem Nachfolger Horns gut daran, diesen Trend mitzugestalten. STEPHAN KOSCH