SPÄT ÜBERNIMMT DIE WIRTSCHAFT VERANTWORTUNG FÜR AZUBIS
: Und sie bewegt sich doch

So, so, Wirtschaft und Regierung haben nun also ausgehandelt, dass es keine Lehrstellenkrise mehr geben wird. Das hieße: Keine vergeblichen Bewerbungen von Teenies mehr, keine Gejammere seitens der Arbeitgeber über die Ausbildungsunfähigkeit der Jugend, keine frustrierenden Warteschleifen für jene, die sich in staatlichen Ersatzmaßnahmen langweilen. Dass mit alledem nun plötzlich Schluss sein soll, ist wenig glaubhaft. Der Azubi-Deal klingt ja gerade so, als wollten der Boss des Handelskammertages, Ludwig Georg Braun, und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement durchgehend Sonnenschein für den bevorstehenden Sommer vertraglich besiegeln.

Dennoch ist der Pakt über – garantiert! – 30.000 neue Ausbildungsplätze kein Unsinn. Er ist, wenn man so will, beides: ein Segen und ein Skandal. Es ist vollkommen richtig, dass sich die Industrie endlich darauf verpflichtet, zusätzliche Berufsmöglichkeiten für Jugendliche zu schaffen. Und auch die 25.000 Azubi-Quickies, die per Praktikum den Erstkontakt von Schulabgängern mit Arbeit ermöglichen, werden viele Nachfrager finden. Der Pakt bedeutet schlichtweg, dass die Wirtschaft gesellschaftliche Verantwortung für den Berufserwerb anerkennt.

Skandalös daran ist nur, dass sich die Herren, die so gern über die unerträgliche Langsamkeit von Schulen und SchülerInnen herziehen, ein gutes Jahrzehnt Zeit gelassen haben. Man muss sich das mal vorstellen: Die Bedingungen von Arbeiten und Wirtschaften ändern sich rasant – und die Industrie konnte es sich über Jahre hinweg herausnehmen, eine gesellschaftliche Gruppe von diesem Wandel auszuschließen. Sie hat, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, Jugendlichen regelmäßig die Tür vor der Nase zugeschlagen. Erst die beharrliche Kompromisslosigkeit von Franz Müntefering hat dieser Frechheit ein Ende bereitet. Der neue SPD-Vorsitzende hielt unbeirrt an einer – im Detail übrigens durchaus fragwürdigen – Ausbildungsplatzabgabe fest – und zwang die Industrie so zu einem „freiwilligen“ Lehrstellenversprechen. Das sagt eigentlich alles über die moralische Orientierungslosigkeit, in der sich die deutsche Wirtschaft befindet. CHRISTIAN FÜLLER