die heimat im test. heute: brandenburg von WIGLAF DROSTE
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Wo der Urlaubsort des Bundeskanzlers in den Rang eines Politikums erhoben wird, ist die Öffentlichkeit mit Demenz bis zum Eichstrich angefüllt. In all dem hochtourigen Gegackere war immerhin die entspannte Stimme Robert Gernhardts zu vernehmen, die Gerhard Schröder nachrief, er hätte nach Italien fahren, „sich eine blonde Perücke aufsetzen und ein bisschen lärmen sollen“. Der angemessen alberne Ratschlag ist aber verschwendet an einen Mann, dem als Alternative zu Italien dann tatsächlich Hannover einfällt.

Es gibt gar nicht so wenige Menschen, die ihre Ferien lieber nicht in Hannover verbringen möchten – nicht aus Ressentiment, sondern ganz im Gegenteil: weil sie es kennen. Dass viele Landsleute in den Ferien vor allem aus Geldknappheit im eigenen Land bleiben, ist eine Sache – müssen sie deshalb dann gleich mit dem „Heimat“-Geschrei anfangen? Heimat: Ist das nicht der Ort, an dem man sich aufhängt? Wo über jedes Bacherl a Brückerl geht, besungen von modrigen Volksmusikanten mit dem Flair leicht angegangener Schweinehälften?

Wenn es aber der erklärte Wille des Volkssouveräns ist, dieses Jahr vor sich hin zu heimaten, dann prüfen wir eben den germanischen Eigensaft und testen die deutschen Heimaten. Von Berlin aus ist es nicht weit ins vorbildlich bevölkerungsarme Mecklenburg – allerdings haben die Götter oder andere Sadisten vor dieses Paradies eine Hürde gebaut: Brandenburg. Dem flüchtigen Betrachter scheint ein Idyll zu winken. Es sirrt die Zikade, es leuchtet der Schmetterling. Auf dem kastanienalleegesäumten Weg zum nahe gelegenen See grüßen wir die wenigen Dorfbewohner, sie grüßen zurück. Die auf unser „Guten Abend!“ hin stumm bleiben, stellen sich als große Gartenzwerge heraus, denen wir versehentlich unsere Aufwartung machten. An manchem Seegrundstück gedeiht noch immer die Schild- und Schwertlilie.

Landschaftlich ist Brandenburg schön – aber das täuscht. Wie sehr, erfährt man im Straßenverkehr. Mit Autofahren hat der nichts zu tun, sehr viel dagegen mit versuchtem Totschlag. Dem Brandenburger ist es nicht peinlich, sich von seinem Verkehrsminister große Tafeln mit der Aufschrift „Bitte nicht gegen die Bäume fahren!“ aufstellen zu lassen. Wenn Abwesenheit von Zivilisation eine Voraussetzung für urige Gemütlichkeit ist, dann ist Brandenburg sehr urig und sehr gemütlich.

Es gibt aber eine einfache und preiswerte Lösung: untertunneln. Das überflüssige Bundesland wird eingezäunt, denn Zäune mögen die Brandenburger sehr. Geld kostet das kaum: Der Brandenburger ist ein Wühler, er buddelt und grubschelt gern. Diesen Hang kann man sich zunutze machen und ihn seine Heimat in Handarbeit untertunneln lassen. Die Transitstrecke war ein halbherziger Schritt in die richtige Richtung. Untertunneln wäre perfekt. Wenn man schon dabei ist, kann man Brandenburg in einem Aufwasch unterkellern. Anders als die Tunnel sind die Keller aber nicht für die Durchreisenden bestimmt, sondern für die Brandenburger.