Präsident Chirac sitzt jetzt im Dunkeln

Wilde Proteste gegen Frankreichs Regierungspläne, die Strom-, Wärme- und Gasversorgung teilweise zu privatisieren

PARIS taz ■ Ausgeknipst. Der französische Staatspräsident und der Regierungschef, der Industrieminister und der Vorsitzende des Unternehmerverbandes – sie alle hatten in den letzten Tagen vorübergehend keinen Strom. ElektrizitätsarbeiterInnen haben sie vom Netz genommen. Aus Protest gegen die Privatisierung der Strom- und Gasgesellschaft EDF-GDF haben sie auch Fabriken, Gerichten und Polizeikommissariaten vorübergehend den Strom abgedreht.

Wilde Streiks führten zu Stromausfällen in mehreren Regionen Frankreichs. Dabei wurde auch eine Versorgungsleitung nach Deutschland gekappt. Zum Ausgleich haben sie andernorts den abgeklemmten Strom von säumigen ZahlerInnen wieder angeschaltet. Die Franzosen sollen spüren, wie es ist, wenn der Strom zum unberechenbaren Faktor wird.

Die Proteste gegen die Privatisierung begannen mit einem Donnerschlag: Am 7. Juni schalteten ElektrikerInnen in Paris den Strom für vier große Bahnhöfe ab. 250 Züge blieben stehen. Eine halbe Million Leute mussten warten. Viele zeigten Verständnis für eine Aktion, die so radikal ist wie seit den 80er-Jahren nicht mehr. Die Verstaatlichung der Energie war eines der Kernstücke der sozialen Reformen nach der Befreiung Frankreichs von der deutschen Besatzung. 60 Jahre danach wollen die meisten Franzosen die Energie als öffentlichen Dienst erhalten. Auch wenn die EU etwas anderes will.

Seit Dienstag debattiert das Parlament. Gleich zum Auftakt der Debatte krebste Finanzminister Nicolas Sarkozy zurück. Er will die Kapitalöffnung auf den Sommer 2005 verschieben. Vorher soll eine Kommission einen Bericht über den Kapitalbedarf von EDF-GDF vorlegen. Langfristig strebt die Regierung 30 Prozent privaten Kapitals in den Aktiengesellschaften an.

Die CGT, größte Gewerkschaft der ElektrizitätsarbeiterInnen, nennt den Rückzieher des Ministers einen ersten Erfolg der Mobilisierung. Doch sie fordert den kompletten Stopp der Privatisierung. In einem Schreiben an Staatspräsident Jacques Chirac schlägt CGT-Chef Bernard Thibault ein Referendum vor. Parallel listet die Gewerkschaft im Web (www.fnme-cgt.fr, www.fnme-cgt.fr) hunderte von Gemeinden auf, die gegen die Privatisierung gestimmt haben. An anderer Stelle (www.energiepublique.org) sammeln sie Unterschriften für eine Petition gegen die Privatisierung.

Während im Parlament die Prozedurenschlacht mit mehreren tausend Änderungsvorschlägen zu dem Gesetzentwurf beginnt, hielt am Dienstagnachmittag in einer Pariser Demonstration ein EDFler ein Transparent mit der rhetorischen Frage hoch: „Wollen Sie, dass Ihre Energie so teuer wird wie das privatisierte Wasser?“

Gleichzeitig erschien eine Untersuchung des „Internationalen Observatoriums für Energiekosten“ aus 14 Ländern. Sie zeigt: Wo die Energiemärkte privatisiert sind, schnellen die Preise in die Höhe. Beispiel Deutschland: Dort steigen die Energiepreise schneller als der Inflationsindex. Allein 2003 betrug die Strompreiserhöhung in Deutschland 9,3 Prozent. DOROTHEA HAHN