Empört von Menschen, die Mädchen kaufen

Der Jüdische Frauenbund wird hundert. Gründerin Bertha Pappenheim engagierte sich früh gegen Mädchenhandel und für Frauenrechte. Heute kümmert sich der Frauenbund um die Integration osteuropäischer Gemeindemitglieder

FRANKFURT taz ■ So sachlich, dabei zwanglos und doch feierlich ist selten der 100. Geburtstag einer Organisation gewürdigt worden. Über 100 Frauen trafen sich gestern Vormittag im großen Saal des Ignatz-Bubis-Gemeindezentrums in Frankfurt am Main, um das Jubiläum des Jüdischen Frauenbundes in Deutschland (JFB) zu feiern. Charlotte Knobloch, Vizepräsidentin des Zentralrates der Juden, erinnerte an die Anfänge des sowohl wohltätigen wie früh feministischen Bündnisses, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ehrenamtlich und professionell Hilfe zu leisten, sich für das Wahlrecht der Frauen in Gemeinde und Gesellschaft engagierte, die Berufstätigkeit der Frauen förderte und vehement und aufklärerisch gegen den Mädchenhandel Anfang des 20. Jahrhunderts kämpfte.

Der im Juni 1904 als Dachverband entstandene JFB stritt gegen das damals verschwiegene, aber in großem Ausmaß schwunghafte Geschäft mit der weltweiten Verschleppung junger Frauen aus den armen Gemeinden Osteuropas. Mitbegründerin Bertha Pappenheim, die schon 1895 mit der Wohlfahrtspflege begonnen hatte, reiste in die betroffenen Länder. Sie besichtigte Bordelle und machte den Missstand, den sie selbst zuerst nicht hatte glauben wollen, öffentlich: „Ich konnte es gar nicht fassen, dass es Menschen gibt, die Menschen, Mädchen und Kinder, kaufen und verkaufen.“ 1904 erschien ihr Reisebericht „Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien“.

Pappenheim bot den Opfern in einem Heim in Neu-Isenburg Unterkunft, Beratung und Lebensperspektive. Sie betreute ledige Mütter und bildete junge Frauen vor allem in sozialen Berufen aus. Auf den deutschen Bahnhöfen arbeitete der Jüdische Frauenbund zusammen mit den Bahnhofsmissionen anderer Konfessionen in Auffang- und Beratungsstellen. Um 1920 zählte er 50.000 Helferinnen. Im Nationalsozialismus wurde er 1938 enteignet und zwangsaufgelöst.

Er formierte sich in der Bundesrepublik schon 1953 neu. Eine seiner Hauptaufgaben ist derzeit die Integration neuer Mitglieder der Jüdischen Gemeinden aus Osteuropa, die oft Sprachschwierigkeiten haben und wenig über ihre Religion und deren Bräuche wissen. Besonders aktiv, so der Verband, seien die Frauen in den kleinen, neu entstandenen Gemeinden in den neuen Bundesländern. Sie betreuen Alte, Kinder und Jugendliche, richten Feste und Totenfeiern aus. Aber sie kämpfen auch weiter für Gleichberechtigung in Religions- und Zivilrecht.

Frauenbunds-Vorstandsmitglied Edith Kelly sagte dazu, jüdisches Leben sei „wieder ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft“. Das sei vor allem den Frauen zu verdanken: „Keine jüdische Gemeinde ist ohne dieses Herzstück denkbar.“ Sara Winkowski, aus Uruguay angereiste Weltpräsidentin jüdischer Frauenvereinigungen, erklärte, sie sei „stolz und glücklich“, den 100. Jahrestag in Deutschland feiern zu können.

Gemeindevorsitzender Salomon Korn erinnerte daran, dass in der hebräischen Sprache Gerechtigkeit und Wohltätigkeit dieselbe Wurzel haben. Ohne das eine komme das andere nicht in die Welt. Eigentlich wünsche er sich, „dass wir keine Wohltätigkeitsorganisationen mehr brauchen“. Auf diese Utopie aber werde man wohl warten müssen „bis der Messias kommt“.

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