Der Kreml im Ölrausch

Präsident Putin hat große Pläne mit den Ölvorräten – wenn nur die Leitungen nicht so marode wären

MOSKAU taz ■ Der Fall Yukos führt weit über die Person Michail Chodorkowskis hinaus: Die Privatwirtschaft beunruhigt die erkennbare Absicht Präsident Putins, eine teilweise Verstaatlichung des Ölsektors durchzusetzen. Der Gasmonopolist Gasprom kündigte an, verstärkt ins Ölgeschäft einzusteigen. Würde seine Tochtergesellschaft Gaspromneft, die nur über geringe Ölvorräte verfügt, den Zuschlag für den nationalisierten Konzerns Yukos erhalten, hätte der Staat wieder die Marktführerschaft inne. Das Yukos-Management signalisierte jedenfalls, Anteile an den Staat verkaufen zu wollen, um eine Pleite abzuwenden. Und die würde kommen, da der Staat auf Steuernachzahlungen in Milliardenhöhe besteht, allein für das Jahr 2000 von umgerechnet 3,4 Milliarden Dollar.

Mit einer Förderung von 421 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr ist Russland der größte Ölproduzent der Welt, gefolgt von Saudi-Arabien. Dieses fördert täglich 8,5 Mio. Barrel, Russland 9,2 Mio. Die führenden sechs Ölgesellschaften Russlands erwirtschaften zusammen ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts. 2003 erzielte die Branche 25 Mrd. Dollar Reingewinn bei einem Umsatz von 70 Mrd. Dollar. Dass der Kreml die Kontrolle über die Ressourcen Öl und Gas zurückgewinnen möchte, ist daher nicht verwunderlich. Zumal die hohen Preise Russland einen Wirtschaftsaufschwung beschert und für politische Ruhe gesorgt haben.

Russland wird derzeit mit guten Nachrichten verwöhnt. Das Brokerhaus Brunswick UBS kam nach neuen Schätzungen zu dem Ergebnis, dass Moskau über Ölreserven von 180 Milliarden Barrel und nicht, wie bisher angenommen, 60 Milliarden Barrel verfügt. Damit hat es nach Saudi-Arabien die zweitgrößten Vorkommen. Dies steigert nicht nur den Appetit des Kreml, auch die Ölmultis BP, Exxon Mobil und Total drängt es an die russischen Quellen.

Nur läuft auch im Rohstoffbereich nichts ohne Zustimmung Putins, doch bislang buhlen die Multis vergeblich um seine Gunst. Aber auch wer sich bereits vor Ort befindet, ist nicht sicher, wie es das russisch-britische Konsortium BP-TNK gerade erlebte. Plötzlich stellen staatliche Kontrolleure die Fördergenehmigung für eines der weltweit größten Ölvorkommen, das Samotlar-Feld, infrage. 2003 schaute Exxon Mobil in die Röhre, als eine vor zehn Jahren erteilte Lizenz für null und nichtig erklärt wurde.

Doch Reserven allein nutzen nichts. Russlands Ölfluss wird durch ausgeschöpfte Förderkapazitäten behindert. Das ließe sich durch Investitionen beheben. Doch abgeschreckt von der Yukos-Affäre, stecken die Konzerne Überschüsse zurzeit in andere Bereiche. Langfristig dürfte daher die Fördermenge sinken.

Die Pipelines sind ohnehin mit 800.000 Barrel pro Tag voll ausgelastet. Der Staat behält sich das Recht auf den Pipelinebau vor, ziert sich aber, in den Ausbau des Netzes zu investieren. Der Chef des staatlichen Monopolisten Transneft, Semjon Weinschtein, klagt seit langem. Ginge es nach ihm, würde der Ostseehafen Primorsk ausgebaut und eine 4500-Kilometer-Leitung an den Pazifik verlegt, da „sie geopolitsch von großer Bedeutung ist“, so Weinschtein. Russland könnte sich die Versorgung Japans, der USA, und der boomenden Märkte in China und Südostasien sichern.

Die Routen nach Europa sind ebenfalls ausgelastet, auch sie sollten erweitert werden. Pläne liegen bereit, doch ihre Umsetzung wird auf sich warten lassen. Hoffnungen im Westen, russisches Öl könnte die Abhängigkeit von den Energiequellen des Mittleren Ostens verringern, werden dadurch gedämpft.

KLAUS-HELGE DONATH