Auferstanden aus Ruinen …

… und der Geschichte zugewandt: Ab morgen zieht es Künstler aus Polen, Deutschland und anderen Ländern für zwei Monate auf die Ruinen der Festung Küstrin an der deutsch-polnischen Grenze

VON UWE RADA

„Kunstprojekte im öffentlichen Raum“, sagt der Leiter des Künstlerhauses Bethanien, Christoph Tannert, „gibt es inzwischen wie Sand am Meer.“ Und nicht selten seien sie nur noch Teil einer „surrealen Geisterjagd nach großen Ereignissen“, will heißen: der künstlerischen Inszenierung des Raumes zum Zwecke seiner touristischen oder urbanistischen Verwertung.

„Dialog Loci dagegen“, meinte Tannert vor kurzem auf einer Diskussion in der Berliner Akademie der Künste, „ist anders.“ Von den in Europa allerorts in Städte und Landschaften implantierten, mehr oder weniger künstlerischen Objektanhäufungen sei das Projekt der beiden Berliner Künstler Anne Peschken und Marek Piskarsky „eine der verunsicherndsten“ Positionen, in der ästhetischen Veranschaulichung verdrängter deutsch-polnischer Geschichte momentan sogar die „überraschendste“.

Ob Tannert recht hat, kann das Publikum ab Samstag selbst beurteilen. Dann nämlich öffnet der „Dialog des Ortes“ bis zum 31. August seine Pforten: auf dem Ruinengelände der ehemaligen Festung Küstrin, heute im polnischen Kostrzyn gelegen.

Mit den herkömmlichen „öffentlichen Räumen“, wie wir sie aus Berlin-Mitte, den Strandinszenierungen an der Spree oder der ins Freie gewendeten Kneipenlandschaft in Prenzlauer Berg kennen, hat dieser Ort in der Tat nichts gemein. 1945 völlig zerstört, wuchs über Küstrin, die einstige „Perle der Neumark“, Gras. Inzwischen ist das „Pompeji“ an der deutsch-polnischen Grenze, wie es oft genannt wird, freigelegt und für jedermann ergehbar – ein geschichtlich aufgeladener Ort, der sich jeder Gegenwarts- oder gar Zukunftsbestimmung zu entziehen scheint.

Und dennoch findet die Bespielung des Ortes durch 19 Künstler aus Deutschland, Polen und anderen Ländern nicht im zukunftsfreien Raum statt. Geht es nach dem Willen der Stadtverwaltung von Kostrzyn, soll die Ruinenlandschaft reurbanisiert werden. „Virtual Kostrzyn“ heißt das Wiederaufbauvorhaben, bei dem auf den Fundamenten der alten Bebauung das alte Küstrin durch postmoderne Architektur neu erfunden werden soll.

Es gehört zu den diplomatischen, aber auch künstlerischen Klugheiten von Peschken und Piskarsky, sich jeder demonstrativen Äußerung zu dieser Debatte zu entziehen. Und sie haben Recht. „Dialog Loci“ ist kein Statement, sondern eine Annäherung, keine Antwort, sondern tatsächlich eine Verunsicherung, wie es Tannert sagt. Julita Wójcik etwa lässt durch orange Luftballons die Umrisse des ehemaligen Küstriner Schlosses wieder erkennbar werden. Eine Statement für eine Rekonstruktion, ähnlich wie die Stadtschlosskulisse von Boddien? Schon ein Windhauch genügt, und alle Gewissheiten sind verflogen.

Georg Winter wiederum, der in Nürnberg Kunst im öffentlichen Raum lehrt, nähert sich dem Gelände aus der Perspektive der Erdkröten. „Der Versuch einer Nutzung“, sagt er, „scheint sinnlos und bislang gescheitert.“ Eine Persiflage auf „Virtual Kostrzyn“? Auch das wäre zu einfach. Schließlich scheiden die Erdkröten, die Winter aussetzt, ein Sekret aus, das beim Menschen Halluzinationen auslöst. Selbst Peschkens und Piskarskys eigene Arbeit spielt mit Begriffen und Bildern, wenn sie landwirtschaftliches Gerät und wiederkäuende Kühe unter dem Titel „Morgenthau“ präsentieren.

Die Verunsicherung, die tatsächlich das Leitmotivische an den Arbeiten der 19 Künstler und Künstlerinnen zu sein scheint, ist aber nicht nur der konkreten Beplanung und historischen Bürde des Ortes geschuldet. Für die Danziger Kuratorin Aneta Szyłak war es auch wichtig, Kostrzyn in den polnischen Kontext der Debatte um Kunst im öffentlichen Raum zu stellen. „Auch in Polen gibt es diesen Weg zur Urbanisierung, zur Kommerzialisierung“, sagte sie auf der Diskussion in der Akademie der Künste. „Dialog Loci“ ist für sie deshalb auch eine Gelegenheit zum Experimentieren an einem Ort, an dem noch vieles offen ist. Der Titel der Diskussion lautete: „Was macht der Ort mit der Kunst, was macht die Kunst mit dem Ort?“

Vor allem die letzte Frage dürfte zu denen gehören, die das Projekt vielleicht zu den spannendsten Events in diesem Jahr an der deutsch-polnischen Grenze machen. Anders als bei einem Architekturworkshop, den die Akademie der Künste im Jahr 2000 unter der Leitung von Heinrich Moldenschardt auf der Ruine des Festung durchgeführt hat, ist die Stadt Kostrzyn bei „Dialog Loci“ mit von der Partie. Der Grund: Moldenschardt hatte sich schon im Vorfeld vehement gegen eine mögliche Bebauung des Ortes ausgesprochen.

Auch Peschken und Piskarsky schließen deshalb nicht aus, dass auch an einem so „unöffentlichen“ und peripheren Raum wie der Festungsruine die Kunst zur Aufwertung und Kommerzialisierung desselben benutzt werden könnte.

Aber auch diesem entzieht sich „Dialoc Loci“ von vornherein. Der italienische Künstler Bernardo Giorgi nämlich verlässt ab Samstag den scheinbar definierten Raum von „Virtual Kostrzyn“ und begibt sich auf den gleich neben der Ruinenlandschaft gelegenen Basar. Dort verteilt er die Häuser der alten Festungsstädte als Schnittmuster im Burdastil. Seine Botschaft: Kostrzyn, das ist heute viele Orte, nämlich Ruine, Basar, Neustadt, Oderinsel, das deutsche Küstrin-Kiez. Und niemand kann mit Sicherheit voraussagen, welcher sich in Zukunft wohin entwickelt.

www.dialogloci.org. Kostrzyn erreicht man stündlich mit der Regionalbahn ab Lichtenberg. Es gilt der VBB-Tarif.