Das Geheimnis der Puddingschlürfer

Zum 100-jährigen Jubiläum des Zuckermuseums gestaltet der Weddinger Künstler Uwe Bressem die Ausstellung „Voll süß“. In seiner Fantasiewelt streifen flusige Flitzer durch das Fürstentum Saccharose, immer auf der Suche nach Schleckereien. Ganz nebenbei erzählt er so die Geschichte des Zuckers

VON SASCHA TEGTMEIER

Das Geheimnis steckte in der Truhe. Lange Zeit stand sie unentdeckt in einer Ecke des Rathauses der baden-württembergischen Kleinstadt Süßen. Zum Vorschein kamen Dokumente, die das Leben der „Zuckerspringer“ belegen. Die heute ausgestorbene Spezies lebte in dem untergegangenen Fürstentum Saccharose.

Uwe Bressem erzählt so selbstverständlich aus seiner bunten Zuckerwelt, dass einem keine Zweifel an der Existenz seiner Figuren kommen. Und wirklich ist nicht alles ausgedacht. Die Stadt Süßen gibt es wirklich, und das von Bressem erfundene Fürstentum Saccharose entspringt zumindest einem realen Anlass: Das Zuckermuseum in der Amrumer Straße feiert sein 100-jähriges Bestehen und der Weddinger Künstler gestaltet dazu passend die Ausstellung „Voll süß“. In der Langen Nacht der Museen am 28. August werden Bressems „süße Schachteln“, der „Postmeisterfund“ und der „Schatz vom Schloss Rübenstein“ die Geschichte des Zuckers erzählen – und dabei einen Einblick in Bressems künstlerische Gedankenwelt geben. Sie erinnert an das Universum von Alice im Wunderland.

„Ich kann doch niemanden mit trockener Wissenschaft begeistern“, sagt Bressem. Der ehemalige Fünf-Sterne-Koch hatte bis vor drei Jahren die Rathauskantine im Wedding geführt. Dann entschied er sich im Alter von 40 Jahren, vollberuflicher Künstler zu sein. Seit anderthalb Jahren nun arbeitet er an dem „Voll süß“-Projekt. Er hat alles über Zucker recherchiert und in seiner Fantasie über Puddingschlürfer und Bonbonbläser nachgeforscht.

Je länger Bressem erzählt, desto weniger weiß der Zuhörer noch, was nur erfunden ist. Genau dieser Freiraum „zwischen Imagination und Realität“ fasziniert ihn. So versieht er auch „Voll süß“ mit seiner liebevoll ausgetüftelten Authentizität.

„Ich bin jetzt der Zuckermann“, sagt er grinsend. Und das bedeutet für ihn mehr als die Ausstellung. „Der Kiez und die Welt gratulieren dem Zuckermuseum“, heißt sein Projektmotto – lokal und global eben.

Zum einen ist das Bressems Sprengelkiez. Von hier aus bringt der Künstler seine „Zuckergutscheine“ in Umlauf, auf denen jeweils eines seiner Fabelwesen abgebildet ist (siehe oben). Die „Galerie 27“, das Zuckermuseum und der Künstler selbst verkaufen ohne Profit seit diesem Monat Bögen mit selbst perforierten Gutscheinen. Mit den „Dextrin-Warengutscheinen“ können ihre Besitzer bald in zwei Dutzend Läden im Wedding bezahlen: vom Supermarkt über den Copy-Shop bis zum Weinladen (siehe Kasten). Bressem will damit auch das kulturelle Leben in seinem Stadtteil fördern. „Kultur ist doch auch, wenn man zusammen etwas macht.“

Die Frage, wie er die Welt in sein Konzept miteinbeziehen könnte, war für Bressem leicht zu beantworten. Denn schon seit Jahren betreibt er „MailArt“, wobei ein Künstler übers Internet die Aufforderung schickt, Beiträge zu einem bestimmten Thema zu liefern. Mit „Voll süß – zum Schlecken geeignet“ forderte er die Künstlergemeinde auf. Zurück kamen beispielsweise eine umgestaltete Schokoladenpackung aus Japan, experimentelle Literatur aus den USA und auch kritische Beiträge wie ein Zuckerhaus mit eingesperrter Sklavin. Die Ergebnisse werden im Internet und im Kiez ausgestellt.

Wenn Bressem aus seinem Zuckerkosmos erzählt, dann möchte er alles gleichzeitig sagen. Doch weil das Nacheinander der Sprache das nicht leisten kann, malt er seine Gedankenwelt lieber, vorzugsweise im Briefmarken- oder Gutscheinformat. Hier entfalten sich seine komplexen Welten, in denen doch alles logisch aufeinander aufgebaut ist. Es sind Momentaufnahmen, die nicht recht stillstehen wollen.

Da huscht der flusige Flitzer durch die Landschaft von Saccharose und sucht mit seinen drei Saugnäpfen unermüdlich nach etwas Süßem. Die letzte Herrscherin über das Fürstentum war Polly Saccharina. Eine pausbäckige Blonde mit grüner Zuckerrübe auf dem Kopf.

Den verlorenen Schatz von diesem Schloss hat Bressem wiederentdeckt und wird ihn im Zuckermuseum ausstellen. Das ist zum Beispiel der in echtem Silber gegossene „Absinthoktopus“, der damals Bressem zufolge für die Zubereitung des Absinth-Getränks „Hell ’s on fire“ verwandt wurde. Die süßen Schachteln sind dreidimensionale Kunstwerke, die den Zucker erklären. „Dies ist ein Puderzuckerflugzeug, das sich im Nebel auflöst“, sagt Bressem und zeigt auf einen farbigen Karton mit viel Watte.

Für den „Postmeisterfund“ hat Bressem eigene Briefmarken aus dem verschollenen Fürstentum entworfen. Doch hier kommt wieder die Realität ins Spiel, denn während der Ausstellung können Kinder mit der „Bonbonpost“ ihre Postkarten verschicken, ganz real. Denn ein privates Postunternehmen unterstützt Bressems Aktion.

Uwe Bressem würde so mancher als durchgeknallt bezeichnen. Doch wer bestimmt schon, was normal, was verrückt ist. Ende August wird Bressems Ausstellung im Zuckermuseum, im nächsten Jahr in Süßen gezeigt.