Rehhagels Revival

Nach dem 1:1-Sieg gegen Spanien stellt Griechenlands Trainer klar, dass der Erfolg nur fortgeführt wird, wenn Ottokles I. die volle Kontrolle behält

AUS PORTO RONALD RENG

Und dann sprach Otto Rehhagel auch noch griechisch. Er war auf dem Weg zum abfahrbereiten Mannschaftsbus schon vorbei an den griechischen Sportjournalisten, die nach dem wertvollen 1:1 gegen Spanien auch gar keine Fragen stellen, sondern nur seine Hand schütteln wollten. Otto Rehhagel lächelte nur und hastete weiter durch die überhitzten Katakomben des Estádio do Bessa in Porto, ehe er es sich anders überlegte. Abrupt blieb er stehen, schloss die Augen, wie er es immer macht, wenn er etwas Bedeutendes sagen will, ging die fünf Meter zu den Reportern zurück und sprach: „Otan ego echo to apolito kodrol ime dikeos.“ Wenn ich die absolute Kontrolle habe, haben wir Erfolg.

Es sagt einiges über das Selbstwertgefühl des 65-jährigen Fußballtrainers aus Essen, dass er ausgerechnet diesen Satz wählte, um zu offenbaren, dass er im vierten Jahr als griechischer Nationaltrainer zumindest ein paar Brocken Griechisch beherrscht. Mit welcher diebischen Freude Rehhagel nach diesem Ein-Satz-Theaterstück davonzog, zeigte aber vor allem, wie sehr er solche Auftritte noch immer genießt. Er hört einfach nicht auf zu überraschen. Rehhagels Trainerkarriere schien doch eigentlich mit dem neuen Jahrtausend zu Ende gegangen, doch nun ist er mit Vehemenz dabei, die Achtzigerjahre noch einmal zu beleben. Wie anno dunnemals in Bremen spielte er mit Griechenland im zweiten EM-Gruppenspiel gegen Spanien mit den eigentlich als ausgestorben geglaubten Manndeckern und Libero, wie damals traut er vor allem Spielern über 30 (Griechenland hat mit 29 Jahren das höchste Durchschnittsalter aller EM-Teilnehmer), wie in Bremen hat er Erfolg.

„Eine einmalige Chance tut sich für den griechischen Fußball auf“, sagte Rehhagel nach dem 1:1, das kein Unentschieden, sondern ein Sieg war. Im ersten Match hatten sie bereits Portugal besiegt, sodass Griechenland – das vor Turnierbeginn noch nie ein Spiel bei einer WM oder EM gewonnen hatte – nun in einer unverbesserlichen Situation ist: Ein Unentschieden im abschließenden Vorrundenspiel am Sonntag gegen die bereits aussichtslosen Russen reicht fürs Viertelfinale, während sich zeitgleich die Turnierfavoriten Portugal und Spanien im Kampf ums Weiterkommen zerfleischen müssen. Für Mittelfeldspieler Stylianos Giannakopoulos ist es schon so weit: „England wünsche ich mir im Viertelfinale – wenn die sich qualifizieren.“ Die eigene Qualifikation scheint ihm keine Frage mehr.

„Die Jungs, muss ich sagen, sind von der Mentalität halt sehr überschwänglich“, sagte Rehhagel, und es hört nicht auf, lustig zu klingen, wenn er in seine sonst so getragene Sprache Ausdrücke aus längst vergangenen Fußballertagen mischt. „Die Jungs.“ Die Trainer heute sagen: „Die Mannschaft“ oder „Die Spieler“. Doch die Partie gegen Spanien war das beste Beispiel, dass es im Fußball kein modern oder altmodisch gibt, „kein gerecht oder ungerecht“, wie Rehhagel sagte: „Es gibt nur das Resultat.“ Spanien bot erneut eine Demonstration des schönen Spiels, mit technisch feinem, schnellem Angriffsfußball. Das Flügelspiel war Poesie in Bewegung, Rechtsaußen Joaquín Sánchez nahm die Zuschauer gefangen mit seinen kraftvollen Dribblings. Doch all die Eleganz brachte ihnen nur ein Tor, durch Fernando Morientes in der 28. Minute, während die Griechen in ihrer Biederkeit, mit all ihren kleinen Makeln und vielen Ballverlusten nicht weniger erreichten. Angelos Charisteas, der Ersatzstürmer von Werder Bremen, glich nach gut einer Stunde aus. Es war ihre einzige Strafraumchance gewesen.

„Wir spielen den Fußball, den wir können“, sagte Giannakopoulos, und niemand sollte sie dafür verachten. Es ist das Recht der kleinen Teams: die Verteidigung und den Konter zu ihren Waffen zu machen, „die Leidenschaft und Hingabe“, wie Rehhagel sagte. Mittelfeldspieler Vasilios Tsiartas ließ keine Zweifel, wo sie die Kraft dafür herhaben: „Der Trainer hat uns den Glauben gegeben. Früher hatten wir Angst vor Gegnern wie Spanien, heute vertrauen wir in uns. Er hat uns allen die Augen geöffnet.“ Otto Rehhagel aber schloss die eigenen Augen schon wieder. Entspannt und aufrichtig hatte er sich nach diesem 1:1-Sieg gegeben, doch etwas bedrückte sein Herz, und in solchen Momenten ist er immer noch ein schwer begreifliches Spektakel. Dann bricht er aus wie ein Vulkan, speit Pathos und Theatralik. Mit bebender Brust, donnernder Stimme und gestikulierenden Händen redete er sich in Rage, er schimpfte und zeterte am Ende dieses für ihn so großen Tages. „So was kann sich nur ein Funktionär ausdenken! Das ist doch kein Trauerspiel!“ Was ihn so aufbrachte? Dass die Tornetze nun schwarz statt weiß sind.