Wettrennen ins Weltall

Für den ersten privaten Raumflug ist ein Preisgeld von 10 Millionen Dollar ausgeschrieben. Der aussichtsreichste Kandidatist der Kalifornier Burt Rutan. Am Montag wird er versuchen, mit seinem Gefährt eine Höhe von 100 Kilometer zu erreichen

In spätestens zwanzig Jahren will Rutan Touristenausflüge anbieten

VON KENO VERSECK

Das argentinische Vehikel sieht aus wie eine verbeulte Blechtonne. Ein Kanadier will es mit einem Ufo-artigen Teller versuchen. Die Israelis lassen ihr Gefährt an einem Riesenballon hochschweben. Und das Armadillo-Team aus Texas verkauft mit dem Argument des „hohen Sammlerwertes“ schon jetzt die Trümmer seiner explodierten Testrakete – zum Preis von 25 Dollar je Schrottstück.

Die vier Konkurrenten treten bei einem spektakulären Wettrennen an: das Wettrennen um den ersten privaten Raumflug. „Ansari-X-Prize“ heißt die Veranstaltung. Eine Hand voll Sponsoren unter der Führung des Raumfahrtenthusiasten Peter Diamandis aus St. Louis im US-Bundesstaat Missouri hat 10 Millionen Dollar Preisgeld für den ersten privaten Raumflug ausgeschrieben. Gewinner ist, wer es bis Ende dieses Jahres schafft, zweimal innerhalb von vierzehn Tagen drei Menschen in eine Höhe von 100 Kilometer und danach sicher zurück zur Erdoberfläche zu befördern – im selben Gefährt und ausschließlich aus Privatfinanzierung.

26 Teams aus 7 Ländern treten an, überwiegend aus den USA, daneben auch aus Großbritannien, Kanada, Argentinien, Russland, Rumänien und Israel. Die meisten haben wenig mehr vorzuweisen als schön kolorierte Zeichnungen und vollmundige Pläne. Der Wettbewerb wäre auch nicht allzu ernst zu nehmen, wäre da nicht der kalifornische Luftfahrtingenieur Burt Rutan mit seinem „SpaceShipOne“.

Am kommenden Montag will der 60-jährige Rutan sein Raketenflugzeug in der kalifornischen Mojave-Wüste starten lassen. Das nur wenige Meter große, ovale SpaceShipOne mit seinen kleinen, schwenkbaren Flügeln wird von einem futuristisch anmutenden Trägerflugzeug namens „White Knight“ auf eine Höhe von fünfzehn Kilometern gebracht und dort abgeworfen. Der Pilot der kleinen Kapsel zündet dann für achtzig Sekunden das Raketentriebwerk. Fast vertikal schießt dann das Gefährt in den Himmel und erreicht drei- bis vierfache Schallgeschwindigkeit. Der Schub bringt es bis auf eine Höhe von 100 Kilometern. Dort ist der Himmel bereits schwarz und die Krümmung der Erde deutlich zu sehen. Die Insassen des SpaceShipOne werden bis zu drei Minuten Schwerelosigkeit erleben, bevor sie zur Erde zurückgleiten.

Heil unten angekommen, können sich die Passagiere bei der Nasa eine Astronauten-Plakette abholen. Einen Raumflug im eigentlichen Sinne werden sie zwar nicht absolviert haben – dafür ist das SpaceShipOne zu langsam. Erst ab mindestens 25-facher Schallgeschwindigkeit erreicht ein Raumfahrzeug eine Erdumlaufbahn. Doch die US-Raumfahrtagentur hat die Grenze zum Weltraum vor Jahrzehnten bei 100 Kilometern angesetzt. Wer die erreicht, ist automatisch Astronaut.

Rutans Gefährt soll am kommenden Montag nur mit einem Piloten fliegen. Doch schon in wenigen Wochen könnten Flüge mit jeweils drei Besatzungsmitgliedern folgen. Rutans Chancen, den X-Preis zu gewinnen, stehen nicht schlecht: Beim letzten Testflug Mitte Mai erreichte das SpaceShipOne eine Höhe von 65 Kilometer – der bisherige Rekord für ein privates Fluggerät.

Rutan ist einer der erfahrensten privaten Flugzeugkonstrukteure überhaupt und genießt in Ingenieurs- und Wissenschaftlerkreisen hohes Ansehen. Drei Dutzend Experimentalflugzeuge entstanden bisher in seiner Firma „Scaled Composites“. 1986 schaffte Rutan es, das erste Flugzeug zu bauen, das einmal um die Erde flog, ohne aufzutanken.

Doch die Fantasie des Mannes geht schon lange über die Grenzen der irdischen Atmosphäre hinaus. Rutan träumt von Raumfahrt für jedermann. „Seit den epochalen Flügen von Gagarin und Al Shepard 1961 ist Raumfahrt nur mit gewaltigen und teuren Anstrengungen von Regierungen möglich“, so Rutan. „Wir hingegen sind eine Hand voll engagierter Leute, die sich darauf konzentrieren, Raumflüge preiswert zu machen.“

In fünfzehn, spätestens zwanzig Jahren will Rutan Touristenausflüge in eine Erdumlaufbahn anbieten. Technisch könnte das Vorhaben gelingen. Fraglich ist jedoch, ob der Ticketpreis dann bei jenen 100.000 Dollar pro Flug liegen wird, die Marktforscher derzeit als Obergrenze dafür ansehen, dass ein nennenswerter Weltraumtourismus in Gang kommt.

Denn den Preis kann Rutan womöglich schon bei suborbitalen Flügen nicht halten. Über die Entwicklungskosten für sein SpaceShipOne, die der Microsoft-Mitbegründer Paul Allen trägt, schweigt Rutan bislang. Fachleute schätzen sie auf 10 bis 30 Millionen Dollar.

Doch kein anderer hat es in der Gemeinde der Weltraumtourismus-Unternehmer so weit gebracht wie Rutan. Er hat sein SpaceShipOne in nur zwei Jahren zusammengebaut. Rutans britischer Kollege Steve Bennett dagegen, der einzige sonst noch chancenreiche Anwärter auf den X-Preis, schraubt und bastelt seit einem Jahrzehnt an den verschiedenen Versionen seiner Starchaser-Rakete. Nachdem Bennett bei seinen Tests diverse Explosionen und Brände ausgelöst hat, ist die Endversion seiner Rakete nun fast startbereit.

Alle anderen aus der Weltraumtourismus-Branche treten eher auf der Stelle. Dabei mangelt es nicht an einfallsreichen Konzepten. In den Büros US-amerikanischer, deutscher und japanischer Raumfahrttechniker liegen Pläne für wiederverwendbare Raumtransporter und Weltraumhotels auf den Tischen. So arbeitet beispielsweise das Unternehmen „Bigelow Aerospace“, das dem schwerreichen US-Hotelkettenbesitzer Robert Bigelow gehört, zusammen mit der Nasa an Plänen für eine Miniraumstation. Investoren für solche Milliardenpläne haben sich freilich bisher nicht gefunden.

Burt Rutan ist dennoch optimistisch: „Ohne Unternehmergeist wäre der Zugang zum Weltraum Normalbürgern auch weiterhin versperrt. Die Flüge des SpaceShipOne werden das grundlegend ändern und andere dazu ermutigen, in der Raumfahrt eine neue Ära mit niedrigen Kosten einzuleiten.“