Lauter fröhliche Schlichter

Alle freuen sich über den Kompromiss, der Innenminister lässt sich feiern, und auch die Grünen sagen zähneknirschend zu

Volker Beck von den Grünen sagte: „Das heutige Ergebnis kann man nur nüchtern betrachten“

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Es war sein Tag. Es war sein Triumph. Drei Jahre nachdem er seinen ersten Gesetzentwurf vorlegte, nach endlosen Verhandlungen und Streitereien, konnte Otto Schily Vollzug melden. Was er von Anfang an wollte, hatte der Innenminister erreicht: eine Einigung mit der Union über ein „Zuwanderungsgesetz“.

Trotzdem war Schily wütend, als er gestern mit seinen letzten Verhandlungspartnern Günther Beckstein (CSU) und Peter Müller (CDU) aus dem Besprechungszimmer kam. Fast sah es so aus, als wollte er die geplante gemeinsame Pressekonferenz in seinem Ministerium kurzfristig platzen lassen. Es gab ein noch allerletztes, wichtiges Detail, das ihm nicht passte. „Das kann doch wohl nicht wahr sein“, schnaubte Schily.

Hatten die Grünen etwa wieder andernorts mit einem Nein zu dem Allparteienkompromiss gedroht? Hatte CSU-Chef Edmund Stoiber aus München angerufen und seinem Minister Beckstein das Mandat entzogen? Nichts dergleichen. Schuld an Schilys Ärger waren die eigenen Mitarbeiter. „Wo ist die Wand?“, rief der Minister und konnte sich kaum beruhigen. Ausgerechnet jetzt fehlte der passende Hintergrund für die Einigungsverkündung: die Wand mit der Aufschrift „Bundesinnenministerium“.

Es sollte der einzige Schönheitsfehler bleiben – und Schilys Wut verflog im Lauf des Tages. Außer seinen Ministerialen fügten sich alle anderen Beteiligten brav in die von ihm gewünschten Rollen: als Beifall spendende Statisten.

Schily sei „ein verlässlicher Partner“, lobte Beckstein. Auf seine Zusagen, die Kosten für die Integration zu übernehmen und die verschärften Ausweisungsvorschriften umzusetzen, könne man bauen. Er sei sich deshalb sicher, so der Bayer, dass auch die meisten aus seiner Partei zustimmen werden, die, wie CSU-Vize Horst Seehofer, laut gegrummelt hatten, weil ihnen die ganze Konsens-Chose mit SPD und Grünen nicht gefiel. Die werde er schon überzeugen, meinte Beckstein, schließlich sei der gefundene Kompromiss „kein multikulturelles Einwanderungsgesetz mehr“. Müller stieß ins gleiche Horn und nahm für sich in Anspruch, das letzte „Fingerhakeln“ zwischen Schily und Beckstein als Schiedsrichter überwacht zu haben.

Als Schlichter fühlt sich auch Max Stadler, der die FDP bei den Zuwanderungsverhandlungen vertrat. „Sowohl grüne Fundamentalisten als auch konservative Hardliner“ hätten von ihren Maximalforderungen Abstand genommen, kommentierte Stadler.

Und die Grünen? Schwiegen erst mal. Sie brauchten eine Weile, um sich eine Sprachregelung zurechtzulegen. Vier Stunden nach dem Trio Schily/Beckstein/Müller meldete sich der grüne Verhandlungsführer Volker Beck zu Wort und sagte: „Das heutige Ergebnis kann man nur nüchtern betrachten.“ Es sei eben Ausdruck der Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer, der noch Anfang Mai erklärt hatte, „das Spiel ist aus“, räumte ein, dass seine Partei nach der Grundsatzeinigung im Kanzleramt von Ende Mai weitere Zugeständnisse machen musste. Trotzdem empfahl er seinen Leuten zuzustimmen. Immerhin habe man die radikalsten Forderungen der Union, wie eine Zwangsausweisung ab einer Verurteilung zu einem Jahr Haft, zurückgewiesen. Trotz aller Mängel handele es sich bei dem Gesetz um einen „längst überfälligen Modernisierungsschritt“.

Zu dem Zuwanderungsspiel, das die Grünen zwischendurch beenden wollten, gehört, dass erst eine Einigung verkündet wird, die schriftlichen Details reicht man später nach. So fällt es Kritikern schwerer, schnell zu reagieren.

So wie es gestern aussah, gibt es eine Modernisierung nur bei den Regeln für Hochqualifizierte und Selbstständige, die leichter einwandern dürfen, mit dem Bleiberecht für ausländische Studienabsolventen und mit dem besseren Schutz für nichtstaatlich Verfolgte.

Bei den so genannten Sicherheitsfragen gibt es dagegen zahlreiche Verschärfungen. So können „Hassprediger“ auch dann ausgewiesen werden, wenn sie „im Hinterzimmer einer Moschee“ (Beckstein) agitieren. Härter als bisher bekannt fällt auch das Integrationskonzept aus. Migranten, die nicht an Kursen teilnehmen, müssen mit finanziellen und aufenthaltsrechtlichen Sanktionen rechnen. Grund genug für Beckstein, von einem „Riesenerfolg“ zu sprechen. Die grünen Landesverbände wollten gestern noch prüfen, ob sie einen Sonderländerrat beantragen. Viel Zeit bleibt nicht: Die Verabschiedung in Bundesrat und Bundestag ist für den 9. Juli geplant.