Rot und Schwarz

Der Reformer Mohammed Chatami gilt als gescheitert. Irans Präsident soll aufgrund der jüngsten Proteste seinen Rücktritt angeboten haben. „Wir sind nicht Herren über das Volk, sondern Diener dieser Nation“ wird er zitiert. Doch wie sieht sie aus, die enttäuschte Bevölkerung dieses Landes? Ein Reisebericht

von LUDWIG BLOHM

Wir sitzen in einem Teegarten in Yazd. Um uns herum zeigen ein paar Weinstöcke ihre ersten zarten Triebe im Gegenlicht der schon schräg stehenden Sonne. Orangenbäume blühen, im Schatten von Zypressen plätschert ein Brunnen.

Ein Tag wie aus dem Bilderbuch. Wir hocken auf bettähnlichen Gestellen, die mit Teppichen und Kissen ausgelegt sind, zusammen mit unserem Freund Akbar. Wir haben Tee getrunken, eine Wasserpfeife geraucht, danach noch ein bisschen in der Sonne gedöst.

Im Teehaus läuft das Radio. Leise dringt die Melodie eines Gedichtes, das gerade rezitiert wird, zu uns nach draußen. Die Perser haben ein Liebesverhältnis zu ihren Dichtern, und viele kennen die berühmten Verse von Hafis, Chayyam, Saadi und Ferdouzi auswendig. Während alle anderen vom Islam eroberten Völker bald die Sprache und Kultur der Araber annahmen, wurde im Iran über diese Dichter des 11. bis 14. Jahrhunderts – allen voran Ferdouzi – die persische Sprache unter der arabischen Herrschaft lebendig erhalten.

Auch heute noch leben die Perser wie kein anderes Volk mit ihren Gedichten, in denen Ströme von Wein und Blut fließen und ihren Geschichten von „mondgesichtigen“ Haremsschönheiten, die sich edlen Prinzen hingeben vor der Kulisse üppiger Paläste, welche von Gesang, Tanz, Ausschweifungen und Liebesgeflüster widerhallen.

Gedichte und Geschichten aus einem Reich, dessen sinnlich-erotischen Eindrücke – nicht zuletzt durch die Vermittlung Goethes, wie durch den Zyklus „West-östlicher Divan“ – ebenso unser Bild vom Orient geprägt und ihn zum Inbegriff der Opulenz gemacht haben.

Akbar holt die Granatäpfel aus dem Rucksack, die wir am Vormittag am Straßenrand erstanden haben. „Das sind die allerbesten, aus Taft“, sagt er und strahlt. Für uns ist sein Glück unverständlich. Die Schale der Früchte sieht ein bisschen krank aus – blassgelb, mit bräunlichen Flecken. Schon beim Einkauf hatten wir nicht recht begriffen, warum Akbars Wahl ausgerechnet auf diese Stücke gefallen war. Aber wir sollen es bald erkennen.

Mit schnellen, geübten Bewegungen ritzt Akbar den Granatapfels ein und bricht ihn dann so auf, dass das Innere zum Vorschein kommt. Rote Beeren, röter als rot, von der Sonne durchschienen. Das ist Persien, geht mir durch den Kopf. Dieses Rot ist die Farbe des Iran.

Zwei Stunden später geht das Land in Schwarz. Auf dem Weg zum Bazar kommt uns einer der Büßerzüge entgegen, die jetzt in der Trauerzeit des Monats Moharram an das Martyrium des Imam Hussein erinnern. Die Luft ist von dumpfen Paukenschlägen erfüllt. Vielleicht hundert Männer ziehen die Straße entlang, alle in Schwarz. Bei jedem Schlag schwingen sie ihre Ketten über die Schultern und lassen sie auf ihren Rücken prallen, konzentriert und schwitzend. Aus einem Lautsprecher plärren Klagegesänge.

Gegen Ende des Zuges kommen die Kinder, auch sie in Schwarz. Sie schwingen ihre kleinen Kindergeißeln noch etwas linkisch, nicht ganz im Takt, aber sehr stolz. Der Zug bahnt sich seinen Weg durch die Menge der Zuschauer, von denen sich viele im Rhythmus der Pauken auf die Brust schlagen. Auf Balkonen, Mauern und Dächern hocken wie Krähen schwarz verhüllte Frauen. Selbst die Straßenränder sind von schwarzen Fahnen gesäumt.

Wohin das Auge blickt: Schwarz. Auch das ist der Iran. Ein Land der Trauer und der weltabgewandten Sittenstrenge, in dem alles verboten ist, was die Sinne zum Jubeln bringen könnte. Musik, wenn sie nicht als liturgischer Singsang daherkommt, ist „mamnu“ – verboten, ebenso wie Tanz und Theater.

Für Wein kommt man ins Gefängnis, Lust und Liebe stehen unter Generalverdacht. Im Land der erotischen Träume und Phantasien unserer Dichter und unserer Väter wurde soeben die Filmschauspielerin Gohar Cheirandish zu 74 Peitschenschlägen verurteilt, weil sie bei einem Filmfestival die Stirn eines Regisseurs geküsst hatte.

Rot oder schwarz – was ist wahr?

Wer im Iran unterwegs ist, dem dämmert schon bald, dass diese Frage nicht zu beantworten ist. Denn irgendwie stimmt hier beides, Lebensfreude genauso wie Weltflucht. Sinnlichkeit genauso wie Sittlichkeit. In ihrer Widersprüchlichkeit ähnelt die seelische Landschaft der Iraner der Landschaft ihres Landes. Sie scheint einen unwiderstehlichen Hang zu Extremen zu haben. Da ist auf der einen Seite diese humorvolle Leichtigkeit – was haben wir bei Einladungen herzlich gelacht! – auf der anderen Seite eine tiefe Melancholie, fast Depressivität, die oft ganz unvermittelt zum Vorschein kommt. Immer wieder ist diese tiefgehende Zerrissenheit zu spüren. Eine grundlegende Zwiespältigkeit, dieselbe vielleicht, die auch die Geschichte dieses Landes durchzieht, mit ihrem ewigen Hin und Her zwischen Ost und West, Europa und Asien, Tradition und Moderne.

Eine Stimmungsschwankung die sich sogar am Kalender ablesen lässt: Nach dem offiziellen iranischen Sonnenkalender schreibt man das Jahr 1382. Der islamische Mondkalender, nach dem sich die religiösen Feste richten (und der im Rest der islamischen Welt ausschließliche Gültigkeit hat), ist jedoch schon im Jahr 1424 angekommen. Und natürlich gibt es auch noch den westlichen, gregorianischen Kalender. Die Iraner leben in drei Zeiten. Gleichzeitig.

„Wir Perser sitzen zwischen allen Stühlen, schon immer. Schauen Sie nur unsere Geschichte an“, sagt unser Fahrer Dschamil, während er mit 140 Sachen auf der Stadtautobahn von Isfahan dahinrast. Er hat das große Los gezogen: Er hat sich an einen Krankenwagen angehängt, der den Weg für ihn freihupt. Ein Privileg, das ihm von den anderen Autofahrern vehement streitig gemacht wird. Sie versuchen, von der Seite vor uns einzuscheren, was unser Fahrer aber abwehrt, indem er einfach bis zur Stoßstange des Krankenwagens auffährt und dort kleben bleibt. Wir können nur noch die Augen schließen.

Wenn jemand erzählt, die Perser wären nett und höflich und hilfsbereit, der kennt sie nur außerhalb des Straßenverkehrs. Autofahren im Iran ist permanente Nötigung. Wir sind heilfroh, als wir an unserem Ziel ankommen, dem großen Platz von Isfahan, der heute Platz des Imam heißt.

Die Mittagszeit ist gerade vorbei, es herrscht sonntäglich-heitere Stimmung. Der Platz ist voller flanierender Iraner, auf dem Rasen um die Wasserspiele in der Mitte herum lagern Familien um ihre „Sofrehs“, ihre Picknickdecken. Geduldig wird angestanden, um sich in der Pferdekutsche um den Platz fahren zu lassen. „Welcome to Iran!“ wird uns immer wieder zugerufen, manchmal werden wir auch gebeten, mit für das Familienfoto zu posieren.

Die Bekleidungsvorschriften sind seit der Drucklegung unseres Reiseführers deutlich lascher geworden. An den Glasvitrinen sieht man hier und da noch die alten verblichenen Aufkleber, die einmal zur Einhaltung der islamischen Kleiderordnung ermahnt haben („Schwester, dein Tschador ist meine Ehre!“). Und in der Provinz geht immer noch die Mehrheit der Frauen, auch der jungen, im schwarzen Tschador.

Aber hier, im feinen Zentrum Isfahans, sitzt das Kopftuch erstaunlich locker. Und anstatt der früher geforderten „Verhüllung der Körperkonturen“ zeigen hier viele Frauen Figur.

Während in den Bussen Männer und Frauen noch getrennt einsteigen müssen, stehen sie in der neuen Teheraner Metro dicht gedrängt nebeneinander. Seit ein paar Monaten ist es unverheirateten Paaren sogar erlaubt, in der Öffentlichkeit Händchen zu halten. Verglichen mit den Zeiten des Ayatollah Chomeini herrscht heute Sodom und Gommorrha.

Wo bleiben denn die Mullahs? Ist ein Wunder geschehen? Was ist mit der Diktatur? Keine Bösen mehr auf der Achse des Bösen? Man könnte es fast meinen, wenn man als Tourist durch das Land gondelt. „Meinst du, hier hätte sich irgendetwas verändert, nur weil die Frauen jetzt ein bisschen mehr Haare zeigen dürfen?“ fragt unser Freund Akbar, leicht gereizt. „Weißt du, wieviele Leute hier im Gefängnis sitzen, bloß weil sie ihre Meinung gesagt haben? Die Mullahs betrachten dieses Land als ihr Eigentum – glaubst du, das wollen sie je wieder hergeben?“

Noch bevor ich den Mund zu einer Entgegnung aufmachen kann, knurrt er: „Jetzt komm bloß nicht mit Chatami…“ Er macht eine wegwerfende Handbewegung. „Von dem haben wir uns viel zu lange an der Nase herumführen lassen. Am liebsten würde ich sie alle eigenhändig umbringen!“ Akbar ist nicht der einzige, der die Geduld verloren hat. Die Enttäuschung der Menschen über die Wirkungslosigkeit der von ihnen gewählten Reformer ist überall mit Händen zu greifen. Sie haben ihre ganzen Hoffnungen auf Chatami gesetzt und müssen nun feststellen, dass sich nichts bewegt hat.

Die Atmosphäre ist geladen wie vor einem Gewitter – und irgendwann wird es knallen, es ist nur noch eine Frage der Zeit. Die Jugend will sich nicht mehr gängeln lassen, sie will tanzen.

So wie die 17jährige Nasim, die sich in ihrem selbst eingerichteten Schminksalon im Keller des Elternhauses vor dem Spiegel dreht und die Titanic-Melodie summt. „Wie gerne würde ich tanzen gehen!“ sagt sie voll Wehmut und Bitterkeit. „Ich beneide euch so…“

Das Durchschnittsalter der Iraner ist zwanzig Jahre. Zwei Drittel der Bevölkerung sind weniger als 35 Jahre alt. Die Jugend wird der Sargnagel der Mullahs sein. Wer die Mullahs hasst, ist noch lange nicht ungläubig. Allüberall wird der Hass auf die Mullahs erstaunlich freimütig und bisweilen sehr drastisch geäußert – zumindest uns Fremden gegenüber.

Dennoch: die Iraner sind nach wie vor ein zutiefst religiöses Volk, und selbst die radikalsten Mullahfresser haben eine fromme Ader – wie dieser Taxifahrer in Teheran, der uns erzählt, dass er im Irakkrieg eine Granate abbekommen hat und nur durch Zufall überlebt hat. „Aber es wäre besser, ich wäre umgekommen. Das hier ist doch kein Leben, wie uns die Mullahs zu leben zwingen.“ Ein tiefer Seufzer. „Wenn wir Hussein nicht hätten…“

Hussein, der Enkel des Propheten Mohammed, ist der eigentliche Champion des Iran. Die Geschichte seines Martyriums, das er vor über 1.300 Jahren in Kerbala im heutigen Irak erlitten hat, ist noch heute jedem Iraner mit allen posthumen Ausschmückungen gegenwärtig. Sie ist der Gründungsmythos des Schiismus, der Kern der iranischen Frömmigkeit. Wir sind immer wieder überrascht, wie viele Perser – und vor allem junge Perser! – aus dieser Frömmigkeit keinen Hehl machen.

Mehrmals passiert es uns, zu unserer allergrößten Verblüffung, dass von modernen Frauen selbst in den eigenen vier Wänden das Kopftuch aufbehalten wird. Schirin zum Beispiel, sie studiert Physik, ist sehr figurbetont gekleidet, sorgfältig geschminkt und klagt darüber, dass die Reformen so langsam vorankommen.

„Warum lässt du deinen Schleier auf?“ fragen wir sie. „Als Zeichen des Respekts vor Gott.“ „Gehst du denn auch in die Moschee?“ „Ihh, bewahre, zu den Mullahs? Nein, ich bete hier zuhause, es tut mir gut, immer wieder mit meinem Gott allein zu sein.“

Soheil, ein zwanzigjähriger Student mit flottem Haarschnitt, der uns durch die Wüste nach Mahan kutschiert, ist der einzige unserer persischen Bekanntschaften, der von sich sagt, dass er nicht an den Koran glaubt. „Ach, dieser ganze Quatsch mit Mohammed!“ sagt er. Auch sonst zeigt sich Soheil eher weltlich orientiert. Schon beim Einsteigen bietet er uns Alkohol an und erzählt uns dann freimütig, dass er eine Freundin hat – und zwar jeden Monat eine neue, „damit es nicht langweilig wird“.

Auf der Heimfahrt – draußen senkt sich der Abend über die Wüste – holt er nach drei Stunden Pink Floyd, Joe Cocker und angeregten Gesprächen eine neue Kassette aus dem Schubfach. Wir glauben unseren Ohren nicht zu trauen: der Trauergesang um Hussein, den wir von den Büßerprozessionen kennen! Soheil sitzt stumm hinter dem Steuer. Als ich zu ihm hinüberschaue, sind seine Augen feucht.

Wer die Mullahs loswerden will, ist noch lange kein Demokrat. „Als der Schah noch da war, hatten wir richtige Münzen, die etwas wert waren“, sagt ein 18-Jähriger am Rand des Nouruz-Feuers, die umstehenden Jugendlichen stimmen ihm zu. „Heißt das, dass ihr gerne den Schah zurückhättet?“ fragen wir, etwas fassungslos. „Natürlich! Damals war doch alles besser!“ Die Verehrung des Schahs ist endemisch in der Jugend. Dass er ein Terrorregime geführt hat wie die Mullahs, ist schlichtweg vergessen.

Die Schlange, die uns bedrängt, ist so böse, dass die Leute sich nach dem Drachen sehnen“, kommentiert unsere Freundin Parwane mit einem persischen Sprichwort. Die Jugendlichen haben weder die Schahzeit noch die Revolution miterlebt, sie haben in den Schulen und den zensierten Medien eine politische Bildung erhalten, die man eher als Volksverdummung bezeichnen könnte. Ihr politisches Weltbild ist häufig geprägt von Anekdoten und Mythen – nur selten, so meinen wir, haben wir auf einer Reise so viel Naivität in der politischen Argumentation erlebt wie im Iran.

So sehr ich diesem Volk wünsche, dass es seine Mullahs los wird, so sehr steht zu befürchten, dass sie auch bei der nächsten Revolution nicht mehr bewirken können als bei der letzten, von Chomeini. Ich befürchte, dass wieder eine charismatische Gestalt kommt, der die Bevölkerung begeistert nachläuft, und die sie überall hinführen wird, nur nicht zur Demokratie. Die Verehrung des Schahs ist symptomatisch für einen gewissen frei flottierenden Größenwahn, den wir immer wieder wahrzunehmen meinten.

Die sympathische Variante geht so: „Unsere Küche ist die beste der Welt!“ (Dazu muss man wissen, dass die Iraner außer einer „Pizza“ genannten Grausamkeit schlichtweg kein ausländisches Essen kennen.) Schon gefährlicher: „Die Amerikaner sollen ruhig kommen, sie werden schon sehen, dass wir besser kämpfen können als die Iraker.“ Oder: „Unser Reich war einst dreimal so groß wie heute, und unsere Rasse ist den Afghanen und Arabern überlegen.“ (Wenn man Iraner fragt, warum sie die Araber nicht mögen, ist die häufigste Antwort: „Weil sie dreckig sind.“) Auf die Deutschen hingegen lassen sie nichts kommen: „Ihr seid Arier wie wir…“ Sobald wir als Deutsche identifiziert waren, kommt sie, obligat, von Gebildeten wie von Ungebildeten: die „Arier-Arie“, wie wir sie für uns nannten, überschwängliche Freude und Selbstgratulation, dass wir doch Brüder in der Rasse seien (wobei wir Deutschen gerne als die großen Brüder angesehen werden).

Am Anfang habe ich noch versucht, dagegenzuhalten. Dass es sich um ein Missverständnis handele, das mit der Verwandtschaft unserer Sprachen zu tun habe – vergebens. Ich wurde nur milde belächelt, dass ich eine offensichtliche Tatsache nicht kannte. Mit der Zeit haben wir uns auch daran gewöhnen müssen, dass Hitler hierzulande – zusammen mit Gerhard Schröder und Rudi Völler – gerne und sehr feierlich als „guter Mann“ bezeichnet wird.

Gegen Ende unserer Reise sitzen wir mit unserem Freund Akbar beim Picknick neben einem Parkplatz – Perser picknicken am liebsten an Parkplätzen oder Autobahnen. Wir singen die Melodien persischer Popstars, rauf und runter: Moji, Ebi, Googush und Dariush. Traurig sagt Akbar: „Alle verboten…“ Plötzlich aber grinst er und zeigt auf die parkenden Autos: „Aber in jedem dieser Autos sind Kassetten von ihnen!“ Er fängt an, haltlos zu lachen.

Die Perser sind ziemlich erfahren im Umgang mit Verboten. Trotz des Alkoholverbots werden Trauben nach wie vor angepflanzt, und nach wie vor zu Wein verarbeitet, in Eigenregie eben. Bei Bier ist die Operation einfach: Man kauft das islamische, alkoholfreie Bier und lässt es, mit Zucker und Hefe versetzt, nachgären. Danach kommt der Kronkorken wieder drauf. Die dazu erforderlichen Apparate gibt es im Bazar in erstaunlichen Mengen zu kaufen.

„Man darf sich bloß nicht erwischen lassen“, sagt am Abend dieses Tages Hasan mit einem breiten Grinsen. Die Rede ist nicht von Alkohol, sondern von einer genauso beliebten berauschenden Substanz. Hasan ist ein stämmiger Mittvierziger mit grauem Schnauzbart. Wir haben ihn gerade zusammen mit seinem Freund Ali bei einem Spaziergang am Strand kennengelernt, und sind gleich auf ein Glas Tee auf sein Grundstückchen eingeladen worden.

Da Einladungen hier immer auch etwas mit Pflichtschuldigkeit gegenüber dem Fremden zu tun haben, haben wir uns erst gewunden, aber nur ein bisschen, schließlich sind wir ja neugierig. Jetzt sitzen wir in Hasans winziger Gartenlaube, in der neben uns und Ali nur noch der Teekocher Platz hat. Die beiden sind Freunde, erzählen sie uns, richtige Freunde – nicht „Freunde“ wie er verächtlich das iranische Wort ausspricht, sondern „Rafiq“, Genossen.

In der Wertschätzung der Iraner kommt Rafiq direkt hinter Familie. Freunde dagegen „sind keine Genossen“, wie ein iranisches Sprichwort sagt. Rafiq zu sein ist im Iran eine Institution wie die Ehe, sie berechtigt zum Hand-in-Hand-Gehen, beinhaltet aber auch gegenseitige Verpflichtungen. Nach den obligatorischen Flüchen auf die Mullahs und ausführlichen Erkundigungen nach der Familie kramt Hasan einen schwarzen Klumpen aus der Tasche. „Wir treffen uns hier manchmal an Feiertagen und rauchen zusammen Opium.“ Er legt die Utensilien bereit: dünne Metallstäbe, die auf der Flamme heißgemacht werden, Bambusrohre, mit denen der Rauch aufgesogen wird, der bei der Berührung mit dem Harz entsteht. Kleine Fluchten in einem Land, aus dem viele fliehen wollen.

Zwei Millionen Iraner haben seit der Revolution das Land verlassen, darunter fast die gesamte intellektuelle Elite. Kaum ein Jugendlicher sieht mehr eine Chance in seinem Land. Ein ganze Generation sitzt auf gepackten Koffern. Aber nicht jeder kommt raus: Männer müssen erst ihren zweijährigen Militärdienst abgeleistet haben, Frauen müssen verheiratet sein. Und nur wenige können sich das teure Leben im Ausland leisten.

Einstweilen werden Fremdsprachen gelernt. Sprachunterricht ist einer der wenigen florierenden Wirtschaftszweige im Iran. Wer es sich irgendwie leisten kann, nimmt neben der Schule oder Universität Englischunterricht in einem privaten Institut. Der Unterricht in der Schule ist nicht der Rede wert.

Soheil, der Mann mit dem bewegten Liebesleben, ist einer von denen, die so schnell wie möglich raus wollen – obwohl er im Gegensatz zu den meisten anderen nach dem Studium einen guten Job in Aussicht hat.

Soheil findet den Iran das schönste und wunderbarste Land der Welt („Wenn da nicht die Mullahs wären!“), schwärmt uns von den Kochkünsten seiner Mutter vor, die überhaupt die beste und verständnisvollste aller denkbaren Mütter sei. Nur von seinen Freundinnen dürfe sie nichts wissen: „Sie ist sehr fromm und betet viel.“

Wir begleiten Soheil in sein Heimatstädtchen, in dem er über hundert Cousins hat. Alle paar Meter müssen wir für eine Begrüßungszeremonie anhalten, es wird geküßt und gescherzt, zwischendurch auch einmal Fußball gespielt, hier ein Tee getrunken, da ein Schwätzchen gehalten. Soheil ist rundum glücklich: „Weißt du, das hier ist alles meine Familie, da bin ich wie der Fisch im Wasser.“

Aber doch will er raus aus dem Land, und zwar so schnell es geht. Und heiraten? „Auf jeden Fall eine westliche Frau!“

Am letzten Tag unserer Reise treffen wir einen, der zurückgekommen ist. Er hat in Mannheim eine Tankstelle gehabt, irgendwann hat sich das nicht mehr rentiert. Und nach dem 11. September hat er sich sowieso nicht mehr wohlgefühlt in Deutschland.

„Man ist ein Verdächtiger, so wie die Leute einen anschauen. Ich habe das nicht mehr ausgehalten.“ Und wie ist es jetzt hier für ihn? „Lausig, die Leute verstehen mich nicht mehr, obwohl wir dieselbe Sprache sprechen. Lauter Missverständnisse – wie mit meinem Onkel hier.“ Er deutet auf seinen Begleiter. „Er macht mir schon die ganze Zeit Vorwürfe, warum ich euch nicht nach Hause einlade. Für ihn ist es unhöflich, euch nicht einzuladen, wo wir doch schon eine ganze Weile miteinander reden. Aber ich weiß nun mal, dass ihr jetzt eure Einkäufe erledigen wollt und alles andere im Kopf habt, als mit einer persischen Großfamilie Tee zu trinken.“

Es geht dem Heimgekehrten wie seinem Land: Er sitzt zwischen allen Stühlen, zwischen Rot und Schwarz.

LUDWIG BLOHMs Faszination für den Iran begann, als er die Sprache erlente. Auf seiner hier dokumentierten Reise stellte er fest, dass in diesem Land auch einfache Fragen gleich tief in die Vergangenheit führen