„Das war eine tolle Zeit“

Das Schanzenviertel, einst Hochburg der links-alternativen Szene, hat sich zum angesagten Stadtteil gewandelt. Besonders die Piazza scheidet die Geister: Eine positive Entwicklung, loben die einen. „Zu laut, zu schick, zu oberflächlich“, kritisieren andere

von MAREIKE ADEN

Der Hacky-Sack-Spieler mit modischer Rasta-Frisur, die patrouillierende Polizistin mit strengem Pferdeschwanz, die BWL-Studentin im kurzen Schwarzen, der Hinz-und-Kunzt-Verkäufer, die Sozialpädagogin in Second-Hand-Klamotten, der Schlipsträger mit Handy am Ohr: Die Schanze hat viele Gesichter. Am Schulterblatt, auf der Piazza vor der Roten Flora, trifft man sie alle. Das Schanzenviertel hat sich zum hippsten Stadtteil Hamburgs gewandelt.

Früher war natürlich alles anders: Neben dem Schlachthof stand Hermann Laues Gewürzfabrik und in der Schanzenstraße stellte Montblanc edle Füllfederhalter her. Es gab einen Schuster, ein paar Schlachter und Tante-Emma-Läden. Die Wohnungen hatten meist nur Ofenheizung und in manchem Haus teilte sich eine Etage eine Toilette. Ende der siebziger Jahre verließen die großen Fabriken das Schanzenviertel oder verkleinerten sich. Viele Arbeiter gingen weg und in die leeren Häuser zogen Kollektive und Alternativbetriebe ein. Die Bevölkerung verjüngte sich, eine politisch sehr aktive, linke Szene entstand.

„Die Schanze ist unpolitisch geworden“

„Das war eine tolle Zeit“, erinnert sich der 55-jährige Peter Hasz an die Hausbesetzungen und Kämpfe um die Rote Flora in den Achtzigern. Mit einem Freund eröffnete er 1979 einen alternativen Kinder- und Jugendbuchladen in der Schanzenstraße, „weil die Mieten so billig waren“. Vor 13 Jahren kam „Die Buchhandlung“ im Schulterblatt hinzu. „Dass wir heute auch Bestseller im Laden haben, hängt mit der Veränderung des Viertels zusammen“, erklärt der Buchhändler .

Die begann, als die Multimedia-Branche Anfang der Neunziger die Sternschanze für sich entdeckte. Auch wenn Firmen wie „Kabel New Media“ so schnell verschwanden wie sie kamen: „Jetzt fahren hier Schlipsträger im Porsche vor und wohnen in teuren Lofts“, ärgert sich Hasz. Alteingesessene Einwohner und Kneipen würden durch „horrende Mietpreise“ verdrängt. „Die Schanze ist unpolitisch geworden.“

Auch im Fritz Bauch, der ehemaligen Arbeiterkneipe in der Bartelsstraße, bekommt man dies zu spüren. „Außer zwei Pressekonferenzen vom Bambule war politisch nichts los hier“, gibt Erica Freudenthal, eine der sechs BetreiberInnen, zu. Man habe die Kneipe mit dem Anspruch übernommen, Forum für politische Aktionen zu sein. Jetzt müsse man Sinn und Zweck der Einrichtung überdenken. „Soll Fritz Bauch ein Ort zum vergnüglichen Kaffeetrinken sein?“ Der 49-jährigen, die seit zwölf Jahren im Schanzenviertel lebt, gefiele das „gar nicht“. Und das Schulterblatt, die „neue Piazza-Meile“, meide sie – „aufs Verrecken“: „Zu laut, zu schick, zu oberflächlich!“

Erol Karakoc, seit 1988 Inhaber des türkischen Supermarktes in der Susannenstraße, sieht das anders. „Es ist besser geworden auf der Sternschanze“, konstatiert Karakoc, der selbst – „wegen der Kinder“ – in Neugraben wohnt. Es gebe keine Krawalle mehr, die Dealer vor seinem Laden seien „endlich verschwunden, und die jungen Leute sind freundlich und intelligent“. Besonders die Atmosphäre am Abend sei wunderbar: „Wenn die Geschäfte geschlossen haben, fühlt man sich hier wie in einer Stadt am Meer.“

Hubert Jutrczenka, der 1961 den „Büromarkt Hansen“ im Schulterblatt erworben hat, ist froh, dass „die Zeit der kaputten Scheiben vorbei ist“. Fast 22 Meter seines Ladens seien in den späten Achtzigern in Brand gesetzt worden: „Da muss man verstehen, dass ich keine Sympathien für Radikale habe.“ Um die alteingesessenen Bewohner, die sich die Miete nicht mehr leisten können und weggehen, tue es ihm zwar sehr leid, „aber das Viertel entwickelt sich positiv“.

„Eine Kommerzszene gibt es hier nicht“

Das findet auch der 62-jährige Rudolf Stenzel, der das von seinen Eltern 1932 gegründete „Cafe Stenzel“ im Schulterblatt vor rund 20 Jahren übernahm. „Als noch viele Familien im Schanzenviertel gewohnt haben, fand ich es zwar schöner, aber eine Kommerzszene gibt es hier nicht.“ Das Viertel habe genug Kraft sich zu erhalten – „wenn denn die Dealer wegbleiben“.

Ein paar hundert Meter weiter sitzt der 40-jährige Sozialpädagoge Fritz Hofmann im „Fixstern“, der zum Jahresende geschlossen wird. „Wir hatten kaum Unterstützung aus dem Viertel“, bedauert er. Es habe ein Meinungsumschwung stattgefunden, der sich im regen, sorglosen Treiben vor der Roten Flora widerspiegele. „Die Leute hier sind sich sozialer und politischer Probleme nicht mehr so bewusst“, bilanziert Fritz Hofmann.

Da könnte er Recht haben. „Trink deinen Kaffee ruhig weiter – Wir greifen Krümmel an“, rufen riesige, von Castor-Gegnern an die Rote-Flora-Fassade gemalte Buchstaben den Menschenmassen auf den Klappstühlen zu. Kaum einer schaut hin.